Die Quelle
unterhalten - die Juden machten etwa ein Drittel der Bevölkerung von Makor aus. Lud ihn einer zu sich ein, so sagte er: »Halte deinen Fuß fern von der Schwelle deines Nachbarn, auf daß er deiner nicht überdrüssig werde.« Das Treffende des Sprichwortes und die gewichtige Art, in der er es von sich gab, mit strahlendem Gesicht, als sei sein Inneres erleuchtet, über zeugte seine Freunde stets von neuem, daß er ein Mann der Weisheit sei. Sagte ein Bekannter etwas Passendes, sofort zitierte Jehubabel: »Ein rechtes Wort ist wie ein goldener Apfel auf einem silbernen Bild.« Und wenn er erfuhr, daß seine teuren Farben im Hafen von Ptolemais angekommen waren, rief er: »Gute Nachrichten aus einem fernen Land sind wie kühles Wasser für den Durstigen.« So entledigte sich Jehubabel mit leichter Hand seiner täglichen Pflichten, und wären die Gesetze des Antiochos nicht gewesen, so hätte sein Vorrat an Sprichwörtern wohl genügt, ihn seinen Weg durch ein nicht eben ereignisreiches Dasein finden zu lassen. Gegen die brutale Gewalt des Gottkönigs jedoch vermochte Jehubabels hausbackene Weisheit wenig auszurichten, und gegen das, was Statthalter Tarphon in Griechenland gelernt hatte, war er machtlos. Sein Name Jehubabel war ein Zeugnis der Geschichte seiner Familie: »JHWH ist in Babylon«. Alle seine männlichen Vorfahren nämlich hatten seit den Tagen der Gefangenschaft diesen Namen getragen. Als für die Juden die Zeit gekommen war, nach Jerusalem zurückzukehren, hatte sich eine Gruppe um den begnadeten Propheten Rimmon geschart, damals schon ein Mann in den Neunzig. Er war es gewesen, der sie von den Wassern Babylons zurück zu den Bergen Jerusalems führte, an die er die Gefangenen fünfzig Jahre in seinen Predigten erinnert hatte. Aber nachdem die Heilige Stadt seinem Volk wiedergewonnen war, hatte er zu aller Überraschung seine alte Frau Geula, seinen Sohn Jehubabel und seine Angehörigen nach Makor geleitet, in die Stadt, in der sein Geschlecht altansässig gewesen war. Der jetzige Jehubabel stammte von diesen tapferen Menschen ab, und wenn der wohlbeleibte Färber auch das meiste ihrer Leidenschaftlichkeit verloren hatte, so fehlte ihm nichts von ihrer Hingabe an den unnennbaren JHWH. Den steinernen Hals des Antiochos Epiphanes zu küssen, war ihm ein Greuel gewesen. Aber als Freund Tarphon ihm versichert hatte, dies sei doch eine Forderung von geringer Bedeutung, die keinerlei Schaden anrichten könne, war Jehubabel sofort bereit gewesen, seine Juden mit einem Spruch zu beschwichtigen: »Flüsse, laßt Nebel steigen, auf daß die Sonne das Opfer annehme und sie nicht austrockne.« Und um des lieben Friedens willen hatte er gehorcht. Es war ihm höchst zuwider gewesen, Antiochos als Gott anzuerkennen. Als aber Tarphon, der gute alte Freund, ihm auseinandersetzte, die Juden sollten dies nur tun, denn sie könnten ja nach wie vor ihren JHWH in der Synagoge anbeten, hatte er keinen wesentlichen Grund zum Widerspruch gefunden. Es war ihm ein abscheuliches Gefühl gewesen, das geheiligte Schwein zu berühren. Trotzdem hatte er eingewilligt, weil der Statthalter der überzeugenden Meinung gewesen war, nur so sei es möglich, Leib und Leben der Juden zu retten. Er traute seinem Freund Tarphon nur zu gern, denn er mochte den rothaarigen Griechen, und nie hatte er erlebt, daß dieser je falschen Gebrauch von ihrer Freundschaft machte. Die gewaltigen Unterschiede zwischen Griechen und Juden, zwischen Heidentum und Judentum allerdings waren ihm offenbar entgangen. Er sah wohl, daß Tarphon athletische Wettkämpfe und Theateraufführungen liebte, während die Juden sich mit einem schlichteren Dasein begnügten. Er wußte, daß im Palast leidenschaftliche Gespräche über Bücher weltlicher Art geführt wurden, während die Juden daheim bescheidener lebten, mit ihrem einen heiligen Buch. Am deutlichsten wurde ihm bewußt, daß im Leben der Griechen der Tempel des Zeus eine Rolle spielte, die freilich niemand ernst nahm, und das Gymnasion, das im Gegensatz zum Tempel jedem Griechen sehr viel bedeutete, während die Juden weiter an ihrer schmucklosen alten Synagoge hingen. Die Tatsache jedoch, daß diese Unterschiede grundlegend wichtig waren, erkannte er nicht. Als daher die letzten Erlasse bekanntgemacht wurden, gegen die in allen anderen Zeiten die Juden aufbegehrt hätten, war Jehubabel abermals bereit gewesen, Tarphon zu glauben, der ihm erklärte: »Ich kenne Antiochos besser, als die meisten andern ihn kennen,
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