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Die Quelle

Titel: Die Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A Michener
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wurde klar, daß der Hauptmann menschlicher war, als es scheinen mochte: Er hoffte, das Geißeln allein werde genügen, den Alten zu töten, so daß ihm die Todesqual des Schindens erspart blieb. Aber der Jude mußte über eine schier übermenschliche Widerstandskraft verfügen. Denn er überlebte den Hagelsturm der Bleikugeln. So wurde er losgebunden und stürzte zu Boden. Von seinem zuckenden Körper schnitt man mit scharfen Messern die zerfetzte Haut herunter. Jetzt mußte der Alte mit Sicherheit tot sein. Doch da hob er den Kopf und sprach das ewig gültige Gebet aller Juden: »Höre, Israel, der HErr, unser Gott, ist der Einzige Gott.« Und während er in langgezogen klagendem Ton das letzte Wort sprach, starb er.
    Unter denen, die bleich und bebend vor Zorn Zeugen dieser Todesfolter hatten sein müssen, befanden sich zwei Männer unterschiedlicher Herkunft, die beide ihren Teil Schuld an dem Unheil hatten. Sie waren in Makor geboren, stammten aus Familien mit alten Vorrechten, und aus ihrer Freundschaft erklärte es sich, warum die Juden die vorausgegangenen Einschränkungen ihrer Glaubensfreiheit eine nach der anderen hingenommen hatten, ohne zu begreifen, was geschah oder zu welchem schrecklichen Ende sie führen mußten. Der eine dieser beiden war Statthalter Tarphon, der fünfunddreißigjährige Gymnasiarch, ein glattrasierter, gutaussehender, rothaariger Athlet, der sich in dem kurzen Gewand eines Offiziers des Seleukidenheeres gefiel. Er war als ehrlicher, großzügiger Mann allgemein beliebt und wurde deshalb auch als Beamter geschätzt, und das um so mehr, als seine schöne, in Griechenland geborene Frau sich bei öffentlichen Anlässen voller Würde zeigte und bei Geselligkeiten im Heim voller Klugheit. Tarphon entstammte einer kanaani tischen Familie des Mittelstandes. Das Aufsteigen zu seinem hohen Amt hatte er der Tatsache zu verdanken, daß Makor nach der Niederlage der Ägypter an das Seleukidenreich gefallen war. Bald schon - Tarphon war noch ein Kind gewesen - hatte man nämlich erkannt, wie begabt er war, und ihn deshalb zur Ausbildung nach Athen geschickt. Nach seiner Rückkehr wurde er dem Statthalter von Ptolemais zugeteilt. Ptolemais: so hieß jetzt der alte Seehafen von Akcho. Tarphon war es gewesen, der den Statthalter überredet hatte, am Nordwestteil der Stadtmauer von Makor einen Sommerpalast zu bauen, wo kühle Brisen vom Wadi herauf wehten und die Sonnenuntergänge so hinreißend anzusehen waren. Tarphon hatte seinen Vorgesetzen auch gezeigt, wie man sein Geld in Olivenhainen anlegt - und wie ihr Geschäft blühte, so blühte auch seines. Nur wenige Beamte des Seleukidenreiches kannten Athen. Sie sprachen zwar alle die Koine, nicht viele aber konnten das klassische Attisch sprechen, das Tarphon in Hellas gelernt hatte. Es war gar nicht zu vermeiden, daß er durch seine griechische Erziehung, seine griechische Frau und seine Tüchtigkeit als Athlet auffiel. Als Antiochos Epiphanes den Zeustempel in Makor weihte, sagte er von Tarphon: »Es ist erstaunlich, in dieser Stadt einen jungen Mann zu finden, der nicht nur in Sprache und Benehmen Grieche ist, sondern auch in seinem geistigen Wesen.« Von diesen Worten ermuntert, war Tarphon mit einer Kühnheit vorgegangen, die ihm weiteres Lob des Königs eintrug. Er brachte eine Reihe von Bürgern der Stadt dazu, das Geld für den Bau eines Gymnasions zu stiften. An der südlichen Mauer entstand es, mit heißen Bädern, Statuen, einer kleinen Arena für die Spiele und Steinsitzen für die Zuschauer. Bei der Einweihung schrieb Tarphon alle Verdienste dafür den Geschäftsleuten am Ort zu und betonte: »Man muß zugeben, daß eine kleine Grenzstadt wie Makor, die erst kürzlich von Ägypten an das Seleukidenreich abgetreten worden ist, kein großes Stadion beanspruchen kann. Nicht einmal Ptolemais hat ein Stadion. Aber wir haben ein Recht auf unser eigenes Gymnasion. Denn wie könnten wir ein griechisches Gemeinwesen sein ohne ein Gymnasion? Und euch gebührt dafür unser Dank.« Deshalb war niemand in Makor überrascht, als Antiochos Epiphanes den noch jungen Tarphon zum Statthalter von Ptolemais ernannte. Seine Pflichten hielten ihn zwar für einen großen Teil seiner Zeit in der Hafenstadt fest, aber so oft wie möglich kam er doch nach Makor, in das behagliche Städtchen seiner Vorfahren und seiner Jugend, jeden Nachmittag, den er hier verbrachte, besuchte er das Gymnasion zu athletischem Spiel und Wettkampf, zu einem heißen Bad und zu

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