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Die Quelle

Titel: Die Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A Michener
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denn habe ich nicht mein Ehrenamt von ihm? Er ist eitel, aber niemals dumm, und wenn er sieht, daß seine neuen Gesetze den Juden zuwider sind, wird er zurückstecken. Glaubt mir, Jehubabel, jetzt ist es das einzig Vernünftige für euch Juden, ihn bei guter Laune zu erhalten, auch bei dem Schwein vorerst nachzugeben und dann in aller Form durch mich Verwahrung einzulegen. Vielleicht macht er die Gesetze dann rückgängig.«
    So war es infolge der Entschlußlosigkeit Jehubabels geschehen, daß Antiochos mit seinen Erlassen das Judentum mitten ins Herz traf: Von den dreihundertfünfzehn Juden in Makor hatten alle außer einem sich dem neuen gotteslästerlichen Gesetz unterworfen. Ein einziger alter Mann war standhaft geblieben. Als dieser bis in den Tod getreue Glaubenszeuge im Sterben lag, starrte er mit dem schon brechenden Auge Jehubabel an, mit einem Blick, der ihn des Verrats an seinem Volk anklagte. Noch lange nach dem Tode des Alten fühlte sich Jehubabel von diesem Blick aus dem blutverschmierten Gesicht verfolgt.
    Nach der scheußlichen Hinrichtung - die dem wirklichen griechischen Wesen so fremd war - verließ Tarphon die Säulenvorhalle des Tempels. Langsam wanderte er die breite, baumbestandene Straße hinunter, die zu seinem Gymnasion führte. Am Eingang hatte man zwei schöne Statuen aufgestellt, Herakles als Ringer und Hermes als Langstreckenläufer. Die Götter waren rank und schlank und weiß und nackt - sie verherrlichten das Göttliche in jedem Manne, der sich selbst körperlich bis zur Vollkommenheit ausgebildet hat. Tarphon hatte die Gewohnheit, sich beim Eintreten ins Gymnasion erst nach links dem Herakles zuzuwenden und seine Schultermuskeln zu straffen, als wolle er sich im Ringkampf mit diesem Gott messen. Dann blickte er nach rechts, zu Hermes, und ließ seine Beinmuskeln spielen, die immer noch so fest und kräftig waren. Heute aber hatte er das Gefühl, als sähen die Götter ihn vorwurfsvoll an. Er senkte die Augen und murmelte:    »Ich muß Antiochos unterrichten, welch
    entsetzliche Folgen seine Anordnungen haben.«
    Beschämt über das, was er hatte mitansehen müssen, betrat Tarphon das Gymnasion. Da war der vertraute Männergeruch wieder: nach Schweiß und duftendem Öl und dampfend heißem Wasser. Eigentlich wollte er sich entkleiden und sofort in die große Halle der Leibesübungen gehen. Doch er verwarf diesen Gedanken und ging auf ein kleines Zimmer zu, das ihm in dem weitläufigen Gebäude zur Verfügung stand. Dabei kam er an einer mächtigen weißen Statue des Antiochos Epiphanes in der Haltung eines Diskuswerfers vorbei. Der König hatte als Athlet nie Sonderliches geleistet, aber er gefiel sich nun einmal darin, als ein Meister der gymnastischen Spiele dargestellt zu werden. So stand er also da: riesenhaft und nackt, nicht nur in der Pose eines Mannes, der sich Zeus gleichgestellt, sondern auch als einer, der gewöhnliche Sterbliche im Diskuswerfen besiegt hatte. Aber Tarphon kam nicht los von dem Gedanken, daß man die neuen Gesetze niemandem aufzwingen könne. Leise sprach er vor sich hin: »Diesmal muß Antiochos nachgeben.«
    Er ging in sein Zimmer, wo er einige Zeit damit verbrachte, in klassischem Griechisch einen Bericht an den König abzufassen: wie der alte Jude dem Gesetz bis in den Tod Widerstand geleistet hatte und mit welcher Wirkung auf die Gemeinde man rechnen müsse. Dann fügte er - diesmal ungewöhnlich klar in die Zukunft blickend - einen kurzen Absatz an: wenn man die neuen Gesetze rücksichtslos durchsetzen wolle, sei ein bewaffneter Aufstand zu befürchten. Doch nachdem er seine Meinung unverhohlen niedergeschrieben hatte, kamen ihm seine Worte allzu anmaßend vor - er schob den Brief beiseite. Die Augen schließend, versuchte er sich vorzustellen, was sich ereignen werde, wenn die Juden losschlugen. Er ahnte auch, welche Kräfte entfesselt werden könnten durch das, was heute in Makor geschehen war. Aber er hatte keine Lust, weiter darüber nachzudenken, und zudem traute er seinem eigenen Urteil nicht recht. So gelangte er zu keiner Entscheidung, ob er den Bericht absenden solle oder nicht. Vielleicht lohnte es sich, einmal jemand anderen zu hören. Deshalb rief er einen der Sklaven, die im Gymnasion Dienst taten, und wies ihn an, Jehub ab el zu holen. Als der Sklave gegangen war, legte er seine Kleidung ab, ölte sich ein und ging in eine der kleinen Hallen. Hier hatte er seit einigen Wochen Jünglinge aus Makor im Ringen unterwiesen; sie sollten

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