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Die Quelle

Titel: Die Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A Michener
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Verantwortung für die Synagoge ernst. Wiederholt schon hatte Tarphon zu seiner Frau Melissa gesagt: »Wenn wir nur ein Dutzend Männer hätten wie Jehubabel, wäre die Verwaltung des Bezirks ein Vergnügen. Aber anscheinend gibt es sie nur bei den Juden.« Die felsenfeste Beständigkeit dieses Mannes also war der Grund, warum der Statthalter sich mit seiner langweiligen Art doch immer wieder abfand.
    Jetzt fragte Tarphon von seiner Massagebank her: »Sagt mir aufrichtig, Jehubabel, die Hinrichtung heute, war sie das Ende einer Zeit der Schwierigkeiten, oder fängt jetzt erst der wirkliche Ärger an? Gibt es Unruhen?« Jehubabel blickte weg von dem nackten Körper, der nun mit dem Bauch nach oben auf der Bank ausgestreckt lag. Dieser Anblick kränkte ihn. Vor allem aber sah er noch immer das anklagende Gesicht des Gefolterten vor sich, und er hörte das trotzige Gebet der Juden, das der Sterbende gesprochen hatte, noch immer. So fiel seine Antwort schärfer aus, als er sie sonst gegeben hätte: »Wenn ein Fluß erst über seine Ufer tritt, kehrt er nicht zurück, bis der Regen aufhört.«
    »Was meint Ihr damit?« fragte Tarphon etwas gereizt.
    »Wenn diese Gesetze weiter in Geltung bleiben, könnten sie schwerwiegende Folgen haben.«
    »Könnten, ja. Aber werden sie?«
    Allzu gern hätte Jehubabel geglaubt, daß wirklich eintreten werde, was Tarphon ihm gesagt hatte: daß nämlich Antiochos die neuen Gesetze widerrufen würde, sobald sich herausstellte, wie die Juden über sie dachten. Und auch jetzt klammerte er sich an diese Hoffnung: »Wenn Antiochos ein wenig nachgibt, bin ich sicher, daß sich Unruhen vermeiden lassen.«
    Der Sklave wusch Tarphon mit feuchten Tüchern ab und brachte ihm ein Gewand. Der Gymnasiarch legte es an; immer noch blieb allerdings sein Körper zum großen Teil entblößt. Während er sich auf den Stuhl setzte, fragte er: »Wenn die Unruhen nicht zu vermeiden sind - was wird die Ursache sein?«
    »Das Schwein können wir hinnehmen«, sagte Jehubabel beruhigend. »Und wir erkennen Antiochos selbstverständlich als Herrscher an, sogar als Gott über sein eigenes Volk. Aber da ist etwas.«
    »Wovor Ihr Angst habt?«
    »Die Juden werden ihre Söhne auch weiterhin beschneiden.«
    »Nein, nein!« Lebhaft widersprach Tarphon. »In dieser Angelegenheit bin ich einer Meinung mit Antiochos. Der menschliche Körper ist zu kostbar, als daß man ihn wegen der Vorschriften irgendeines Glaubens eigenmächtig verändern dürfte. Warum, meint Ihr, haben wir verboten, Sklaven mit Brandmarken zu zeichnen? Und zu verstümmeln?« Er verschob die marmorne Hand mit dem Schaber, als wolle er damit in eine bestimmte Richtung weisen, und fragte: »Beantwortet mir diese eine Frage: Wenn Euer jüdischer Gott so vollkommen ist, wie Ihr behauptet, und den Menschen geschaffen hat - woher nehmt Ihr dann das Recht, das von Eurem Gott Geschaffene zu verbessern?«
    Dieses eine Mal wich Jehubabel nicht mit einem Sprichwort aus, sondern erklärte:    »Als der Allmächtige Sein
    vollkommenes Werk beendet hatte, berief Er Abraham und sagte: >Ich habe einen vollkommenen Menschen geschaffen. Jetzt brauche Ich ein vollkommenes Volk. Um der Welt zu beweisen, daß ihr Mein auserwähltes Volk seid, sollt ihr eure Söhne beschneiden.« Wenn wir das tun, handeln wir also nicht im Gegensatz zum göttlichen Willen, sondern wir befolgen ihn.« Tarphon war überrascht von der klaren Antwort des Juden, konnte aber doch nur die Achseln zucken. »Das Gesetz des Königs ist eindeutig, Jehubabel. Keine Beschneidungen mehr.« Dann setzte er hinzu: »Bitte.«
    Der dickliche Färber dachte nochmals über diese ihm so eindringlich dargelegte Forderung nach, die letzte in einer langen Reihe von Forderungen. Und abermals lenkte er ein: »Ich glaube nicht, daß irgendein Jude seinen Sohn beschneiden lassen wird, ohne vorher mit mir darüber zu sprechen.« Tarphon lächelte ihn verständnisvoll an. Er wußte, daß in der jüdischen Gemeinde von Makor nur Jehubabel die Beschneidungen vornahm. Wenn also ein Verstoß gegen das Gesetz des Antiochos vorkommen sollte, so war allein Jehubabel dafür verantwortlich. Doch wollte Tarphon seinen Freund nicht damit in Verlegenheit bringen, daß er zugab, dies zu wissen. Und jetzt sagte der Jude in dem langen Gewand abschließend: »Wenn also die Juden mich um Rat fragen, werde ich ihnen sagen, daß sie noch ein wenig länger.«
    Tarphon atmete erleichtert auf. Mehr brauchte er nicht, nur ein wenig Zeit. Denn

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