Die Quelle
er glaubte, sich dessen sicher zu sein, daß er mit der Zeit die Härten des Gesetzes mildern könne. Er zog das zweite Blatt seines Berichtes unter der Marmorhand hervor, zerriß es und warf es in einen Korb. »Ich wollte gerade Antiochos etwas berichten, was er nicht zu wissen braucht«, sagte er mit einem etwas verkrampften Lachen. Dann begleitete er Jehubabel zur Tür seines Zimmers. Und draußen stand wieder die riesenhafte Statue des Epiphanes. Tarphon wies auf den marmornen Gottkönig und sagte: »Ich freue mich, daß Ihr so viel Verständnis aufbringt, Jehubabel. Gegen diese Macht könntet ihr schwachen Juden euch nicht behaupten. Mit Vernunft wollen wir seine Gesetze mildern, mit Vernunft!«
Jehubabel zog es vor, die anstößige Statue zu übersehen. Wieder einmal flüchtete er sich in ein Sprichwort, dessen Sinn nicht einmal er verstand: »Der Odem des Königs läßt die Gerste welken, aber am Ende des Winters kommt Regen.« Tarphon dachte: Er ist wirklich ein Langweiler mit seinen Sprüchen, aber ohne ihn hätten wir Schwierigkeiten. Dann aber sagte er, um Jehubabel die Lage begreiflich zu machen, in fast begeistertem Tonfall: »Laßt Euch von dieser Statue nicht beirren. Wärt Ihr überrascht, wenn ich Euch sagte, daß auch ich sie unmöglich finde? Aber ich kenne Antiochos auch als Menschen, so wie er in Antiochia lebt und regiert. Er bewegt sich unter dem einfachen Volk dieser großen Stadt, wie ein Tyrann es niemals wagen könnte. Des Nachts betritt er plötzlich eine Schenke und singt mit den Matrosen. Er spielt in Theaterstücken mit oder wandert unerkannt durch die Gassen, um zu sehen, wie es den Armen geht. Er hat einen einzigen verzehrenden Wunsch: geliebt zu werden. Und wenn sein Volk ihm bei den Spielen zujubelt, wird er tatsächlich zu einem Gott und übt an allen Gerechtigkeit. Glaubt mir, Jehubabel, wenn er erfährt, daß diese Gesetze euch Juden unglücklich gemacht haben.«
»Wie der Wirbelwind sich legt, so verschwindet der Bösewicht«, antwortete Jehubabel, »der Rechtschaffene aber steht auf festem Grund.« Tarphon schüttelte den Kopf - den mittleren Teil des Satzes wollte er nicht gehört haben. Freundschaftlich faßte er den Juden bei der Schulter und sagte: »Wenn Antiochos meinen Brief liest, wird das Gesetz geändert.« Dann begleitete er seinen Freund zum Tor des Gymnasions.
Auf dem langen Gang erschien vom anderen Ende des Gebäudes her eine Schar gutaussehender junger Männer - die Athleten, mit denen Tarphon gerungen hatte, schlanke, klaräugige Jünglinge, alle einheitlich gekleidet: breitrandige Hüte mit flachem Kopf, schöne flatternde Umhänge in einem hellen Blau, am Hals von Silberspangen zusammengehalten, und weiße Sandalen aus geschmeidigem Leder und mit gekreuzten Bändern bis hinauf ans Knie. In dieser heiteren Bekleidung - reiche griechische Bürger von Makor hatten sie den jungen Athleten geschenkt für Reisen zu Wettkämpfen in anderen Städten - sahen die Sieben aus wie sieben Statuen des Hermes, der bereit ist, jeden Auftrag auszuführen, den Zeus ihm gibt. Als sie geräuschvoll an der Statue des Epiphanes vorbeitrabten, erkannte Jehubabel in dem größten der jungen Leute seinen eigenen Sohn Benjamin. Aber er war keineswegs stolz darüber, ihn hier zu sehen.
Die Jünglinge waren vorüber. Tarphon sagte zu seinem Freund, der stumm und mit gesenktem Kopf neben ihm ging: »Jehubabel, Euer Sohn Menelaos wird der beste Athlet, den wir je in Makor gehabt haben.«
»>Ein kluger Sohn ist seines Vaters Freudec«, zitierte Jehubabel - diesmal erstaunlicherweise den König Salomo, »>aber ein törichter Sohn ist seiner Mutter Grämen!< Ringen ist unvernünftig, Diskuswerfen.« Er deutete über seine Schulter zurück auf die Statue des Epiphanes. ». Unvernunft.«
»Nein«, widersprach Tarphon ihm. »Die Zeiten sind vorbei, als solche Worte wahr waren. Ein Jüngling muß heute über einiges Wissen verfügen. Ja. Aber er muß auch seinen Mann im athletischen Spiel stehen, muß teilhaben an den Freuden geselligen Lebens. Nicht im Übermaß, gewiß nicht. Aber er muß es. Vieles hat sich gewandelt, vieles wird sich noch verändern, alter Freund, und auch wir müssen uns wandeln.«
Jehubabel aber, noch immer von dem Blick des zu Tode geschundenen Glaubenszeugen verfolgt, sagte: »Wissen ist noch immer das Einzige, und mit dem Wissen erwirbt man auch Verstand.«
»Ich habe meinen Verstand vom Ringen«, antwortete Tarphon. Aber das vermochte der Jude nicht zu
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