Die Quelle
und der hagere kleine Bauer eilten an der Synagoge vorbei und eine dunkle Gasse hinab, die nach dem Haupttor führte. Auf halbem Wege dorthin verschwanden sie rasch in einem ärmlichen Haus. Hier wohnte Paltiel. Vier Juden waren um den kleinen, acht Tage alten Jungen versammelt, den man für die Beschneidung vorbereitet hatte. Als handele es sich um etwas Alltägliches, fragte Jehubabel: »Sind wir bereit, Abrahams Bund zu erneuern?« Doch als die Juden ihm die übliche Antwort gaben, sah er sie mit flackernden Augen an und fragte eindringlich: »Nachbarn, seid ihr euch klar darüber, was das bedeutet?« An dem stummen, aber entschlossenen Nicken merkte er, daß der Alte auch jedem, der hier im Zimmer war, ins Gesicht geblickt, jeden gemahnt hatte an den Bund, der niemals enden durfte. Jeder der Männer wußte, was auf dem Spiel stand, jeder war bereit, die Folgen zu tragen. Jehubabel ging, zitternd unter der Schwere seines Tuns, beiseite und sprach ein kurzes Gebet. Dann zog er sein scharfes Messer hervor und beschnitt das Kind, das vor Schmerz zu wimmern begann. Aber Paltiel stopfte ein weindurchtränktes Tuch in den Mund des Knaben, und das Wimmern hörte auf. »Sein Name ist Isaak«, sagte der Bauer, »denn Isaak war der Sohn Abrahams, der als Opfer dem.« Hier stockte der Vater wie vor einem Hindernis. Denn es war ihm nicht erlaubt, den Namen JHWH zu nennen, und er wußte auch wirklich nicht, wie der heilige Name ausgesprochen wurde - schon seit ein paar Jahrhunderten hatte niemand in Makor mehr das Wort gesagt. Da man aber den Gott doch irgendwie bezeichnen mußte, las und sprach man JHWH als Adonai (was dann später als »HErr« in andere Sprachen übersetzt wurde). Und als dann die Vokalzeichen aus Adonai den heiligen Buchstaben JHWH zugesetzt wurden, entstand ein merkwürdiges Symbol, das deutsche Gelehrte viele Jahrhunderte später irrtümlich als »Jehova« entzifferten -ein Wort, das niemals existiert hatte und niemals für die strenge hebräische Gottheit gebraucht worden war. Für den wahren Namen des Einen Gottes, JHWH, gab es keine Aussprache. Die einfachen Juden nannten Ihn mit dem Namen Adonai, der weder Ihm noch irgendeinem andern Gott je gehört hatte, sondern einfach »Mein Herr« bedeutete. Vielleicht vermochte nur diese eigenartig Ungewisse Namengebung das Wunder dessen zu bezeichnen, der sich dahinter verbarg, und zu erklären, warum die Juden in Makor die Gefahr auf sich nahmen, bei lebendigem Leibe totgepeitscht zu werden dafür, daß sie ihrem Gott treu blieben, der ihrem Volk noch immer beigestanden hatte. Paltiel, der Bauer mit den paar Schafen, der ein großes Wagnis einging -denn die Griechen konnten seinen Sohn jederzeit untersuchen und den Beweis der Schuld Paltiels entdecken -, hob seinen
Sohn in die Höhe und sagte: »Er ist Isaak, der als Opfer Adonai geweiht wurde. Aber er blieb am Leben. Heute opfern wir alle unser Leben Adonai. Mögen auch wir am Leben bleiben.« Die heimlich Versammelten, die sich alle darüber klar waren, daß sie ihr Leben verwirkt hatten, wenn die griechischen Beamten das Kind Isaak als beschnitten fanden, schlüpften einer nach dem andern aus dem Haus; Jehubabel, der in Gedanken versunken seinen Weg zurück zur Synagoge nahm, hörte lärmende Stimmen von der Hauptstraße her. Da er befürchtete, es seien Soldaten, die ihn ausfragen könnten, versteckte er sich. Aber die Lärmenden waren die sieben Athleten in ihren blauen Umhängen. Sie kamen von einer Geselligkeit in Tarphons Palast und gingen auf die Synagoge zu, um Jehubabels Sohn Benjamin gute Nacht zu wünschen. In der brüderlichen Art der Athleten verabschiedeten sie sich an der Haustür, wobei sie ihm das Versprechen abnahmen, früh am nächsten Morgen im Gymnasion zu sein. Wenn sonst ein Vater gesehen hätte, wie beliebt sein Sohn bei den jungen Leuten war, deren Väter an der Spitze des Gemeinwesens standen, wäre er wohl sehr stolz gewesen. Jehubabel aber, der von ferne zusah, wie sein zum Griechen gewordener Sohn seinen griechischen Freunden Lebewohl sagte, empfand nichts als Scham darüber, daß der Junge sich so weit entfernt hatte von dem Geist, der einen Paltiel dazu getrieben hatte, seinen Sohn beschneiden zu lassen.
Jehubabels Sorge um Benjamin verstärkte sich, als der Statthalter Tarphon nach Ptolemais reiste, wo er dringende Arbeiten für den Ausbau des Hafens zu erledigen hatte, und seine Frau Melissa im Palast an der nördlichen Mauer zurückließ. Dorthin ging nämlich Benjamin
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