Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Quelle

Titel: Die Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A Michener
Vom Netzwerk:
waren arm. Tausend Menschen lebten in der Stadt - die niedrigste Zahl an Einwohnern seit Jahrhunderten -, und von ihnen waren mehr als achthundert Juden, aber in keinem der hauptsächlich betriebenen Gewerbe hatten Juden eine führende Stellung. »Wie wollen wir das bezahlen?« fragte der Mann nochmals. Alle schwiegen. Da stand in der hintersten Reihe ein großer, massiger Mann auf, der Steinmetz Jochanan, und brummte durch seine vorspringenden Zähne: »Der Rabbi hat recht. Wir sollten eine Synagoge haben. Du, Rabbi, ernährst mich und mein Weib; und ich baue dir eine bessere als die in Kefar Nachum.« Die Juden wußten, daß dieser Mann mit den buschigen Augenbrauen und den haarigen Händen erst vor ein paar Stunden noch dem Rabbi getrotzt hatte. Deshalb erwarteten sie, daß der Gottesmann das Anerbieten abschlagen werde. Zu ihrer Verwunderung jedoch verkündete Rabbi Ascher: »Von Ptolemais bis Twerija ist Jochanan der beste Steinmetz. Ich werde ihm die Grütze geben.« Wenige Augenblicke später hatte er weitere Zusagen, die es ermöglichten, mit dem Bau der Synagoge anzufangen. So begann die Zusammenarbeit zwischen dem Grützenmacher und dem Steinmetz, durch die Makor wieder schön werden sollte. Bis dahin waren die Synagogen Galilaeas zumeist unansehnlich gewesen, nach jüdischer Überlieferung außen kahl, innen freundlich. Doch nun zeigte der klobige Steinmetz, was er konnte. Mit unglaublicher Geschicklichkeit bearbeitete er den weißen Kalkstein, den seine Esel aus den Steinbrüchen herbeischleppten, und nach kurzem zeigten die Mauern der Synagoge steinerne Vögel und Schildkröten und Fische, und die Juden Makors sahen im zweiten Jahr seiner Arbeit, daß Jochanan ein Meisterwerk baute. Es schien, als führe er seinen Meißel mit um so größerer Freiheit, je schlimmer sich die äußeren Umstände seines Lebens entwickelten, so daß er, der nicht gewillt gewesen war, sich dem Gesetz des jüdischen Glaubens zu beugen, wenigstens ein Heim zu schaffen wußte, in dem der jüdische Glaube gedeihen konnte.
    Denn seine Lebensumstände blieben schlimm. Bald nachdem der Bau der Synagoge begonnen hatte, schenkte Tirza einem Sohn das Leben. Die Geburt des Kindes bedrückte sie, denn sie mußte sich mit der Tatsache abfinden, daß der Knabe als unehelich niemals ein richtiger Jude werden könne. Sie fing an, sich einzubilden, daß die Frauen von Makor sie verachteten. Und eines Tages lief sie schreiend zu ihrem Mann: »Rabbi Ascher verfolgt mich auf Schritt und Tritt mit anklagenden Blicken!« Von dem Gedanken besessen, der Rabbi verurteile sie, weil sie dem Gesetz zuwidergehandelt hatte, wimmerte sie kläglich dem ihr nur durch selbstgenommenes Recht verbundenen Mann vor: »Jochanan, bring mich nach Ägypten oder Antiochia.« Als er fragte, zu was das gut sein solle, vermochte sie statt einer vernünftigen Erklärung nur die unsinnige Andeutung zu suchen, vielleicht finde sie dort ihren ersten Mann wieder. Der Steinmetz versuchte, ihr gut zuzureden, aber nichts konnte sie trösten.
    Darum ging er verstört zum Rabbi und bat einfältig: »Sag mir, was ich tun soll.«
    Die Angst in Jochanans Aufforderung zwang den Gottesmann, sich auf sein Amt zu besinnen. »Ich bin sicher«, sagte er, »daß der Allmächtige Tirza als dein Weib ansieht, wenngleich dein ungesetzliches Weib. Auch ich muß Verantwortung für sie übernehmen. Wenn sie also glaubt, ich hätte sie beleidigt, muß ich ihr das Gegenteil versichern.« Und er verließ sein Studierzimmer, um sich bei Tirza zu entschuldigen. Als er jedoch zu ihrem Haus kam, war sie fort. Rabbi Ascher folgte ihr bis Ptolemais, aber sie hatte sich bereits nach Alexandria eingeschifft, und als er einen Brief an die Rabbinen dieser Stadt schrieb, antworteten sie, daß Tirza nach Hispanien abgewandert sei.
    Nun bewies Rabbi Ascher, daß er wahrhaft ein Gottesmann war, denn er ließ Jochanan rufen und sagte zu ihm: »Dein unehelicher Sohn kann zwar nie ein wirklicher Jude sein. Aber laß uns wenigstens für ihn tun, was möglich ist.« Und er traf Vorkehrungen zur Beschneidung des Knaben. Linkisch stand der Steinmetz dabei und hielt seinen Sohn, als sei das Kind eine Erscheinung aus einer anderen Welt. »Gib ihm den Namen Menachem, der Tröster«, sagte Rabbi Ascher, als er den Bund zwischen dem Kind und Gott vollzog.
    Schon bald zeigte sich, daß Jochanan unfähig war, sich selbst um den Knaben zu kümmern. Deshalb vereinbarte Rabbi Ascher mit mehreren Frauen, daß sie sich des Kleinen

Weitere Kostenlose Bücher