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Die Quelle

Titel: Die Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A Michener
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hatte der Alte geheißen, und hundertunddrei Jahre alt war er geworden. Als
    Greis - weniger als achtzig Pfund wog er, und seine Stimme war durch den weißen Bart hindurch fast nicht mehr zu hören -hatte er einen Schüler gefunden, der ihm in vielem ähnelte, einen Bauern, der bis zu seinem vierzigsten Jahr weder lesen noch schreiben konnte, dann aber zu einem der großen Gelehrten der jüdischen Geschichte wurde: den Gesetzeslehrer Akiba ben Joseph. Und diese beiden aus eigener Kraft zu Gelehrten aufgestiegenen Männer hatten einander geschworen, den Glauben der Juden und damit das Judentum zu retten. Sie stellten das Gesetz zusammen, nach dem die Juden zu leben hatten, jetzt, da der sichtbare Sammelpunkt ihres Glaubens, der Tempel in Jerusalem, nicht mehr bestand. Einst hatten alle Juden in Galilaea und südlich davon gelebt; jetzt waren dort nur noch wenige verblieben, denn die Römer hatten die Mehrzahl nach Hispanien und Ägypten, nach Kleinasien, Arabien und in Länder vertrieben, deren Namen man noch kaum kannte. So zerstreut und so machtlos die Juden waren -mit Israel verband sie doch immer das Werk, das Rab Naaman und Rabbi Akiba vollbracht hatten.
    In der Stille des Olivenhains, dort, wo einst der Patriarch Zadok unmittelbar mit dem HErrn gesprochen hatte, lauschte Rabbi Ascher nun den Worten Naamans und Akibas, wie sie in Galilaea in der Erinnerung fortlebten. »Rab Naaman von Makor sagte: Errichte ein Gitter um die Thora, auf daß sie vor gedankenloser Verletzung bewahrt bleibe.«
    »Rabbi Akiba sagte: Der einfache Mann, der seine Mitgeschöpfe erfreut, erfreut auch den Allmächtigen.«
    »Rab Naaman von Makor sagte: Im Gesetz des Mose leben, ist leben in den Armen des Allmächtigen.«
    »Rabbi Akiba sagte: Sie kamen zu mir, weinend, daß Israel arm sei, weil die Römer das Land zerstört hatten. Ich aber sagte, daß Armut für Israel so kleidsam ist wie ein rotes Geschirr für den Hals eines weißen Pferdes.«
    »Rab Naaman von Makor sagte: Ich klagte: >Da sind zwei Männer, und nur einer gibt den Armen.< Der Allmächtige sagte: >Du irrst. Da ist nur ein Mann, denn wer den Armen nichts geben will, ist ein Tier.<«
    »Rabbi Akiba sagte: Die Juden sind geboren zum Hoffen, und in der Verwüstung müssen sie sogar noch stärker hoffen. Denn es steht geschrieben, daß der Tempel zerstört und dann wieder aufgebaut werden soll. Wie aber könnten wir ihn wieder aufbauen, hätten die Römer nicht zuvor Jerusalem zerstört?«
    »Rab Naaman von Makor sagte: Gleich einem verkrümmten Ölbaum im fünfhundertsten Jahr, der alsdann erst die beste Frucht trägt, ist der Mensch. Wie könnte er Weisheit tragen, ehe er in der Hand des Allmächtigen gebrochen und gekrümmt ward?«
    »Rabbi Akiba sagte: Israel soll nicht sein wie die Heiden, die ihren hölzernen Göttern danken, wenn Gutes geschieht, und ihnen fluchen, wenn das Böse kommt. Wenn Gutes kommt, danken die Juden dem Allmächtigen, und wenn Böses kommt, danken sie Ihm auch.«
    »Rab Naaman von Makor sagte: Da ist das Gesetz, und vor dem Gesetz ist das Gesetz.«
    »Aber Rabbi Akiba sagte: Jener, der sich nur seiner Kenntnis des Gesetzes rühmt, ist wie der Kadaver eines toten Tieres, der auf der Straße liegt. Gewiß zieht das faulende Aas die Aufmerksamkeit aller auf sich, doch jeder, der vorübergeht, hält die Hand vor die Nase, denn es stinkt.«
    Eine Zeitlang rief Rabbi Ascher sich die Lehren der toten Weisen ins Gedächtnis. Erst am Nachmittag erhob er sich, und glücklich wie ein Bräutigam, kehrte er zur Stadt zurück, denn er meinte, den Willen des HErrn verstanden zu haben. Die Erscheinung hatte ihm gezeigt, wie Kaiserin Helena eine Kirche für die Christen baute, und der Allmächtige billigte offenbar ihre Absicht, denn die Kaiserin war von strahlendem Glanz umgeben gewesen. Aber noch mehr bedeutete dies nach Ansicht des Rabbi: daß auch er ein Gebäude für seine Gläubigen errichten müsse. So ging er zum Platz, den die Kaiserin Helena für ihre Kirche hatte abstecken lassen und sah sich an, wo er südlich davon eine kleine Synagoge bauen könne. Dann rief er seine Juden zusammen und sagte: »Seit Jahren haben wir in meinem Haus Andacht abgehalten. Das ziemt sich nicht länger für uns. Wir werden eine Synagoge bauen gleich denen in Kefar Nachum und in Kefar Birim.« Sein Vorschlag wurde zustimmend aufgenommen, bis ein vorsichtiger Mann fragte: »Und wie wollen wir das bezahlen?«
    Da geriet Rabbi Ascher in Verlegenheit, denn die Juden von Makor

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