Die Quelle
dieser Synagoge das »Lecha Dodi« anstimmten, so geschah das in sieben oder acht verschiedenen Tempi, Melodien und Akzenten. Und eines Abends, als die seltsame Entrückung, die einen an diesem Ort ergriff, auch Cullinane - für ihn selbst ganz unerwartet - übermannte, ertappte er sich dabei, wie er aus vollem Hals mitsang, in einer irischen Melodie, die er sich während der Ausgrabungsarbeiten selbst zurechtkomponiert hatte:
»Brech auf, mein Freund, der Braut entgegen,
laß uns der Ruhe freundlich Angesicht empfangen.«
Und der Wodscher Rebbe, so alt, daß er unsterblich schien, schaute beifällig aus seiner Ecke hoch.
Die Synagoge jedoch, die Cullinane schließlich regelmäßig besuchte, war jenes kleine Bet ha-Kenesset der Sefardim in Akko, in das er zufällig an dem Tage hineingeraten war, an dem er dann die Prozession zu Elias Höhle mitgemacht hatte.
Diese Synagoge war weder so geräumig wie die in Haifa noch war die Andacht so gefühlsbetont wie in der des Rebbe von Wodsch in Zefat, sondern sie war lediglich eine Stätte inniger Gottesverehrung. Der Ritus der Sefardim, lyrischer als der aschkenasische, gefiel Cullinane besonders, und die hier gesungene Melodie für das »Lecha Dodi« mochte er am liebsten von allen, denn sie erklang mit einer Lebhaftigkeit, die ihm den eigentlichen Geist des Judentums zu enthalten schien: Diese Sefardim hießen wirklich den von Gott geheiligten Tag willkommen, und wenn am Höhepunkt der Hymne sich die ganze Gemeinde dem Eingang zuwandte, als ob die »Prinzessin Sabbat« selbst nun mit einstimmen würde in den Chor, war dies für Cullinane ein Augenblick derartig erhebender Freude, wie noch keine andere Religion sie ihm hatte schenken können.
Als er wieder einmal an einem Freitagabend in der Synagoge von Akko saß, dachte er: Für einen Ort der Gottesverehrung ist das hier wirklich ein Loch. Neulich bin ich auf die Spitze des Bergs Tabor gefahren, um an der Messe in der Basilika der Franziskaner teilzunehmen. Sie ist sicherlich eine der schönsten Kirchen der Welt. Und nun diese Synagoge. Ich möchte wissen, warum eigentlich Synagogen so häßlich aussehen müssen. Das Judentum muß die einzige unter den großen Religionen sein, die auf prunkvolle Tempel keinen Wert legt. Vielleicht hat dieses Judentum etwas, das ihm wichtiger ist. ein Gefühl tätiger Brüderlichkeit, einer Einheit bei aller Vielfalt. An diesem Freitagabend werden so, wie sich die Sonne über den Erdball bewegt - von den Fidschiinseln, wo der Tag beginnt, bis nach Hawaii, wo er zu Ende geht -, dann, wenn der Sonnenuntergang naht, Juden überall den gleichen Willkommensgesang anstimmen, und jeder in seiner eigenen, in seiner Lieblingsmelodie.
Als er am Tag darauf mit den Sefardim in dieser kleinen Synagoge saß und betete, mußte er eine Lehre einstecken, die er für den Rest der Jahre seiner Arbeit an der Ausgrabung in Makor nicht vergessen sollte. Das kam so: Die jüdischen Gemeinden veranstalten keine Kollekten, wie es die christlichen Kirchen tun. Sie halten nach wie vor an dem sehr alten Brauch fest, Geld für die Synagoge und die Arbeit der Gemeinde zu sammeln, indem sie gewisse Funktionen beim Gottesdienst gleichsam verkaufen. Jetzt, um die Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts, war es allerdings in den meisten Synagogen längst üblich, die Zahlung solcher Beiträge privat vorzunehmen. Die Sefardim von Akko jedoch führten, einer uralten Tradition folgend, tatsächlich am Sabbat noch so etwas wie eine Auktion während des Gottesdienstes durch. Cullinane fand es sehr störend, daß auf einmal ein geradezu marktschreierischer Auktionator rief: »Vorwärts, wer zahlt fünfzehn Lira für die Ehre, aus der Thora lesen zu dürfen?« Durch solch öffentliches Ausbieten brachte er sieben oder acht der geheiligten Funktionen an den Mann, wobei zugleich die Gemeinde erfuhr, wieviel jeder gewillt war, dafür zu zahlen. Durch eine Gesichtsbewegung hatte Cullinane offenbar seinem Mißfallen über diese, wie ihm schien, Entweihung einer Andacht Ausdruck gegeben. Denn zum Schluß des Gottesdienstes kam Schulamit, die ihn damals zu Elias Höhle geführt hatte, und fragte auf Englisch: »Scheußlich, nicht?«
»Was denn?« fragte Cullinane scheinheilig. »Die Auktion. in einem Hause des HErrn.«
»Nun.«
»Es war fast so schlimm wie diese Art Lotto, dieses Bingospielen, zu dem ich früher in Ihre Kirchen gegangen bin. in Chicago.« Sie umarmte ihn mit ihren dicken Armen, und dann gingen beide in ein arabisches
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