Die Quelle
er ruhig. Eusebios ließ das trockene, asketische Lachen eines Spaniers aus alter Familie hören und sagte: »Es mag in unserer Kirche diese oder jene Richtung geben, die den Juden feindlich gesinnt ist; hier bei uns gibt es so etwas nicht. Mach dir keine Sorgen. Der da«, und mit leichtem Nicken wies er auf seinen Baumeister, »stammt aus Dakien und betet noch zu Bäumen. Dort ist ein Perser, der das Feuer anbetet. Unsere germanischen Söldner sind Anhänger des Arius, der es ablehnt, die göttliche Wesenseinheit.« Er hielt inne, denn ihm fiel ein, daß diesen Steinmetzen solche Dinge nichts angingen; dann aber fuhr er gemessen fort: »Als Jude und mit deinem Können bist du uns willkommen.« Und er nahm Jochanan mit einer gewinnenden Geste beim Arm und führte ihn aus der Synagoge. Die nächsten Tage brachten Aufregungen. Eusebios gab seine Zurückhaltung so lange auf, bis der ortsansässige syrische Priester ihm die Stelle bezeichnet hatte, an der, wie überliefert war, die Kaiserin Helena gekniet hatte. Dort sollte sich der Altar der neuen Basilika erheben. Jochanan sah die Christen den Platz nördlich der Synagoge immer wieder abschreiten und die beste Lage für ihren Bau suchen; da in jener Zeit die Kirche noch nicht verlangte, daß sich der Altar im Osten befindet, waren viele Möglichkeiten zu prüfen. Schließlich jedoch rief Eusebios den Steinmetzen herbei und fragte ihn, was er von einer Lösung halte, bei der die Basilika in Richtung von Südwesten nach Nordosten stand, also im spitzen Winkel zur Synagoge. »Ist der Boden dort fest genug?« fragte der Baumeister. »Selbstverständlich. Aber dann müßtet ihr niederreißen.« Jochanan nannte aus dem Gedächtnis die Namen der Männer, denen die Häuser auf dem vorgesehenen Platz gehörten: »Schemuel der Bäcker, Esra, Hababli der Färber, sein Sohn Abraham. dreißig Häuser!«
Eusebios nickte. »In Zukunft werden viele diese Kirche besuchen, Pilger aus Ländern, die wir bis jetzt noch nicht einmal kennen.«
»Aber dreißig Heime!«
»Was ist dir lieber?« fragte der Spanier, bemüht, zugänglich zu scheinen, aber entschlossen, fest zu bleiben. »Daß wir eure Synagoge einreißen?« Als Jochanan begriffen hatte, was auf dem Spiel stand, schickte er Menachem nach Twerija mit dem
Auftrag, er solle Rabbi Ascher raten, unverzüglich nach Makor zurückzukehren, da Beschlüsse gefaßt worden seien, die das Schicksal der Stadt entscheidend beeinflußten. In Twerija berichtete Menachem: »Dreißig Häuser werden abgerissen. In der Mehrzahl jüdische. Schemuels Haus, Esras, das von Eurem Schwiegersohn.« Rabbi Ascher saß da mit unter dem weißen Bart gefalteten Händen, hörte geduldig zu und sagte sodann zur Überraschung seines Vorarbeiters: »Die Erörterungen hier in Twerija können in den nächsten drei Tagen nicht unterbrochen werden; deshalb ist es mir unmöglich, abzureisen. Geh nach Hause zurück, Menachem, und sage den Familien, daß sie ihre Häuser räumen müssen, wie es der Priester angeordnet hat. Ich bin sicher, daß die Christen ihnen neuen Boden und neue Häuser geben werden.«
»Aber Rabbi Ascher.«
»Seit einem Vierteljahrhundert wissen wir, daß der Bau der Kirche nach dem Willen des Allmächtigen erfolgt«, sagte der Alte. »Wir sollten deshalb alle auf diesen Tag vorbereitet gewesen sein. Ich war es.« Und ohne jede Furcht ging er zum Weinstock zurück, wo die großen Gesetzeslehrer die Frage nach der Wiederverheiratung einer Witwe in Angriff genommen hatten, eine Angelegenheit, die sie jahrelang beschäftigen sollte.
Aber als der Grützenmacher den anderen Rabbinen von den Geschehnissen in Makor berichtete, unterbrachen sie ihren Disput, um kurz zu erörtern, was sich da neuerdings durch mancherlei Übergriffe störend bemerkbar machte. Der Rabbi von Zefat sprach aus, was die Ansicht der Mehrheit war: »Ich sehe keinen Grund zur Beunruhigung. Die sogenannte christliche Kirche von Konstantinopel ist lediglich eine andere Form des Judentums. Wir haben in der Vergangenheit viele solche Abirrungen erlebt; die meisten sind verschwunden.«
Der alte Rabbi aus Babylonien hingegen sah die Dinge anders, denn im Zweistromland hatte er erlebt, was beim Zusammenstoß des Christentums mit den alten Religionen geschehen war - er wußte die unbändige Lebenskraft dieser neuen Bewegung richtig einzuschätzen. »Es ist nicht so, wie ihr sagt«, warnte er. »Wir Juden haben unseren Einen Gott, die Christen haben drei Götter, und ihre Kirche ist keine
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