Die Quelle
Abweichung von der unseren, sondern ein neuer Glaube. Auch hat in der Vergangenheit keiner der bedeutenden Kaiser sich zu einer der früheren Abirrungen vom Judentum bekannt. Konstantin aber ist Christ geworden. Hierin liegt der eigentliche Unterschied.«
»Haben sie denn solche Macht, diese Christen?«
»Ich habe ihre Heere gesehen. Sie kämpfen mit dem Feuer der Überzeugung.« Der Rabbi von Kefar Nachum sagte: »Mich beunruhigt allein die Unduldsamkeit der Pilger, die in unsere Stadt kommen. Vor dem Besuch der Kaiserin Helena kamen jedes Jahr nur einige wenige Wanderer; sie aber hat Unruhe gestiftet. Denn jetzt kommen Hunderte und fragen: >Ist das nicht Kapernaum, wo die Juden vom Herrn Jesus gesagt haben, er lästere Gott?< Und sie bespucken die Synagoge.«
»Mir machen die Pilger keine Sorgen«, berichtete der Rabbi von Zefat, »wohl aber die Steuereinzieher. Man hat sie zwar gezwungen, Christen zu werden, aber nun halten sie es für ihre Pflicht, mit uns Schindluder zu treiben.« Der junge Rabbi der weißen Synagoge von Kefar Birim sagte, er sei überzeugt, daß die Beziehungen zwischen dem Judentum und dem neuen Glauben sich schon in befriedigender Weise einspielen würden. »Denn wie Rabbi Chananja eben ausgeführt hat, sind sie ja tatsächlich Juden. Sie erkennen unsere heilige Thora an. Sie glauben an unseren Gott. Wir sollten sie als eine unbedeutende Sekte betrachten.«
»Eine Sekte ist nicht unbedeutend«, entgegnete der Alte aus Babylonien, »wenn sie den Kaiser zu ihren Anhängern zählt.«
»Wir haben viele Kaiser überlebt«, meinte der Rabbi von Kefar Birim. Jetzt kam die Rede auf eine Reihe ärgerlicher Vorfälle, die das Land Galilaea seit einiger Zeit beunruhigten. Nachdem die Rabbinen ihre Erfahrungen ausgetauscht hatten, stellte sich heraus, daß es in allen Städten mit Ausnahme von Makor zu Tumulten gekommen war. Junge Männer hatten den byzantinischen Steuerbeamten - deren Forderungen in der Tat untragbar geworden waren - Widerstand geleistet. In Kefar Nachum hatte die Empörung solche Formen angenommen, daß byzantinische Soldaten anrücken mußten; blutigen Kampf hatte es jedoch nicht gegeben. Alles in allem genommen, waren die Tumulte als Vorzeichen einer sich anbahnenden Entwicklung doch recht unheilverkündend. Und dann kam der Rabbi von Kefar Birim auf die Hauptfrage: »Die
Steuereinnehmer behaupten, sie müßten mehr Geld aufbringen, weil für die neue Sekte Kirchen gebaut werden sollen. Meine Juden können solche Auflagen einfach nicht mehr hinnehmen. Aber dann schreien die Soldaten: >Ihr habt doch Jesus gekreuzigt, oder?< Und schon ist der Streit da. Was also tun?« Darauf schlug Rabbi Ascher, nun einer der ältesten Mitglieder der Versammlung, vor, nach welchen Regeln sich die Rabbinen verhalten sollten: »Der Allmächtige fordert von uns, daß wir das Land mit einer starken Sekte des von Ihm geoffenbarten Glaubens teilen. Kinder, die zum Mannesalter heranreifen, behandeln wir mit Großmut und Würde; laßt uns die neue Bewegung auf die gleiche Weise behandeln: mit Güte
- mit Güte.« Von den an jenem Tag Anwesenden bezeichnete nur der Schriftgelehrte aus Babylonien das Christentum als einen neuen Glauben; die anderen sahen in ihm lediglich eine weitere Erscheinung in der Reihe jüdischer Absplitterungen, nach Art etwa der Essener oder der judenchristlichen
Ebioniten. Die Christen seien bestenfalls mit den Samaritanern zu vergleichen: Juden, die nur die Thora anerkannten und sich weigerten, an die göttliche Offenbarung der übrigen heiligen Schriften zu glauben. Wie der Rabbi von Kefar Birim bemerkte: »Die Samaritaner schneiden unser heiliges Buch entzwei, die Christen dagegen verdoppeln es durch ihr eigenes Buch. Im Grunde bleiben beide Abweichungen jüdisch.«
Mit einem Gefühl der Unsicherheit verließ Rabbi Ascher - er war länger als drei Tage in Twerija geblieben -, den Kreis der Gesetzeslehrer von Twerija, um nach Makor zurückzukehren. Er ahnte nicht, daß er seine Gefährten nie mehr wiedersehen sollte, und so verabschiedete er sich, ohne einen letzten Blick auf den Weinstock zu werfen, unter dessen Blätterdach das Gitter um die Thora errichtet worden war, oder auf die bärtigen Gesichter derer, die mit ihm zweiundzwanzig Jahre lang so leidenschaftlich disputiert hatten. Als sein weißes Maultier den Hang nach Zefat hinaufkletterte, drehte er sich nicht noch einmal um, Twerija mit den im Glanz seines Herbstes schweigend verfallenden römischen Bauten zu
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