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Die Quelle

Titel: Die Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A Michener
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Während er gedankenvoll auf die Karawanserei zuging, dachte er an den Morgen, als er am Stadttor von Jathrib gestanden und den Propheten zum erstenmal gesehen hatte. Von einigen Anhängern aus Mekka begleitet, war Mohammed, um Schutz nachsuchend, in die Stadt im Norden Arabiens gekommen. Ein unerfreulicher Tag wurde es, erinnerte sich Abd Omar, denn die Feinde des Propheten hatten nichts als Hohn und Spott für den bärtigen, dicken Mann mit den leuchtenden Augen und dem schwarzen Haar, das ihm bis auf die Schultern fiel - den Mann, der vorgab, Gott habe zu ihm gesprochen. Damals wußte Abd Omar freilich noch nicht, was die Ankunft Mohammeds in Jathrib bedeutete. Er hatte zwar schon seit ein paar Jahren dies und jenes von ihm gehört, aber nichts Genaues; erst nach Mohammeds Eintreffen erfuhr Abd Omar, daß der Prophet den von Mekka mitgebrachten Aufzeichnungen über seine Offenbarungen Neues hinzufügte. Im übrigen kümmerte sich Abd Omar kaum um Mohammed. Dann war der Krieg gekommen: Ein Heer aus Mekka versuchte, Jathrib zu stürmen, um den Propheten zu töten. Abd Omar hatte als Freiwilliger an der Verteidigung der Stadt teilgenommen und zahlreiche Gefechte mitgemacht. So war er, der Halbneger und Sklave, schließlich in die Leibwache des Propheten gelangt und hatte ihn dabei aus nächster Nähe als glänzenden Feldherrn kennengelernt. Gern erzählte Abd Omar seinen Kriegern aus dieser Zeit: »Dreimal am Tag sah es damals aus, als sei die Niederlage unabwendbar. Aber Mohammed verstand es jedesmal, uns geschickt zu sammeln und erneut in die Schlacht zu werfen. So schlug er den überlegenen Feind.« All das militärische Können, über das Abd Omar jetzt verfügte, verdankte er Mohammed.
    Während der Verteidigung von Jathrib hatte Abd Omar den Propheten zunächst als überragenden Krieger schätzen gelernt, dann aber auch bald die geistige Kraft gespürt, die von diesem Mann ausging. Abd Omar war damals zu jung gewesen, als daß man ihn einen Freund des Propheten hätte nennen können. Wohl aber war er ihm nahe genug, um die Wirkung seiner Verkündigung unmittelbar zu erleben - einer Lehre, deren fünf Grundsätze so einfach waren, daß jeder Mensch sie verstehen konnte: Die alten Götter sind tot; es gibt nur Einen Gott; Er hat sich den Juden offenbart; Er hat den großen Propheten Jesus gesandt, seine Lehre kundzutun; und jetzt hat Er den letzten Propheten geschickt, ihn, Mohammed, um die Offenbarung abzuschließen. Ein Weiteres hatte Mohammed stets besonders betont: Er sei nicht mit irgendwelchen fremden Lehren gekommen, sondern lediglich mit der Erfüllung dessen, was Juden und Christen begonnen hätten. Unter der Wirkung dieser Worte hatte Abd Omar sich zum Propheten bekannt. Und so war es gekommen, daß Abd Omar, der jetzt in der kalten Morgenluft auf die Karawanserei zuging, um zur Wegnahme einer Stadt auszuziehen, die er nie zuvor gesehen hatte, ein unerschütterliches Vertrauen besaß. Das aber mußte denen, die diese Stadt verteidigen sollten, nach Abd Omars Meinung fehlen. Denn sie waren entweder Juden, deren Glauben alt und kraftlos geworden war, oder Christen, die ihren Jesus falsch verstanden, wenn sie in ihm den letzten Propheten sahen. Abd Omar haßte seine Gegner keineswegs; daß sie jetzt noch blind waren, tat ihm sogar leid, und er wollte ihnen helfen, den Einen Gott zu finden. Zugegeben - bei der Einnahme von Damaskus und Tabarija hatten einige Juden und Christen die Botschaft des Propheten zu langsam begriffen. So hatte es Tote gegeben. Aber das war vorbei. Von nun an, sobald Makor eingenommen war, sollte nicht mehr getötet werden, sollte weder Jude noch Christ unter dem Krummschwert fallen, denn Judentum und Christentum und Islam mußten nebeneinander und miteinander in Duldsamkeit leben. Und außerdem hatten die Führer der Mohammedaner eingesehen, daß man Juden und Christen besser am Leben ließ, weil von ihnen der Reichtum des Landes abhing. Und zudem konnte man gewiß sein, daß die Ungläubigen binnen weniger Jahre die sittliche Überlegenheit der Offenbarung Mohammeds anerkennen und sich ganz selbstverständlich zum Islam bekehren würden.
    In diesen Gedanken betrat Abd Omar die Karawanserei. Ohne ein Wort zu sagen, bestieg er sein Kamel und gab das Zeichen zum Abmarsch. Man hörte kein Schreien, kein Säbelgeklirr wie bei Abu Saids Aufbruch nach Safat; die Krieger, die die neue Politik der Araber in die Tat umsetzen sollten, ritten ohne jeden Lärm aus der Stadt, vermieden die

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