Die Quelle
mit Mathilda über seine Enttäuschung. Aber am nächsten Tag berichtete Wezel, in der Stadt erzähle man, daß der Pöbel in Asien auf ein großes türkisches Heer gestoßen und vernichtend geschlagen worden sei.
Drei düstere Tage lang hörte man am Ufer des Goldenen Horns widerspruchsvolle Nachrichten. Endlich kam Gunther von Köln, so hager und hohläugig, daß seine Schwester ihn kaum erkannte. Sein blondes Haar war stumpf geworden, sein Mantel hing in Fetzen an ihm herab, das blaue Kreuz war abgerissen. Er lächelte matt, als er Schwester und Schwager wiedersah, brach aber sofort auf dem brokatbezogenen Bett zusammen, verlangte Wasser, trank und drehte sich dann stumm auf die Seite. Am ersten Tag schlief der Erschöpfte und sagte kein Wort. Dann endlich sah er Wezel an, der geduldig am Bett gesessen hatte, und sagte kaum hörbar: »Sieben sind zurückgekommen.«
Wezel ließ den Grafen rufen und wiederholte ihm und Mathilda, was der Kreuzritter gemurmelt hatte. »Nur sieben Ritter?« fragte Volkmar.
»Kein Ritter außer mir«, antwortete Gunther und wand sich im Bett, als werde er peinlich verhört. »Die andern sind sechs Bauern.«
»Und die Frauen?« fragte Mathilda.
Ihr Bruder hob den Kopf, um sie anzublicken, und ließ ein dünnlippiges Grinsen sehen. »Die Frauen?« wiederholte er.
»Hast du je eine Bande türkischer Krieger gesehen, wie sie in ein Lager mit Frauen, Kindern und Pferden einbrechen?« Er stieß mit seiner Rechten vier- oder fünfmal zu, als habe er ein Schwert in der Faust. Und immer noch grinste er wie ein Narr vor sich hin. »Alle tot?« fragte Volkmar.
»Schwager«, erwiderte Gunther, »von allen, die mit uns gezogen sind, leben nur noch sieben.«
Der Priester kniete vor dem Bett nieder und begann zu beten, während Volkmar an das Heer dachte, das vor fünf Monaten von Gretsch losgezogen war: Mehr als zwölftausend Männer und dreitausend oder viertausend Frauen und Kinder hatte man zuletzt gezählt. Und nun waren alle bis auf sieben verloren. »Gnädiger Gott«, betete Volkmar, »ist dies Dein Kreuzzug?«
Und jetzt sprach Gunther: »Wir haben nicht nur Niederlagen erlitten. O nein! Wir haben einen großen Sieg erfochten. Wir sind vom Meer ins Landesinnere gezogen. Aus einem Dorf kam uns ein kleines Heer entgegengezogen, alle Krieger gut bewaffnet und in wallende Gewänder gekleidet. Mit lautem Geschrei stürzten wir uns auf sie und töteten sie alle.« Er lachte auf - schrecklich war es anzusehen, denn der große blonde Mann betrug sich wie ein Narr. Nach einer Weile hatte sich Gunther jedoch wieder in der Gewalt und fuhr fort: »Als alle tot lagen, hörten wir von den Frauen des Dorfes, daß sie Christen waren, sich uns anschließen wollten. Aber sie sahen wie Türken aus. die langen Kleider.« Er setzte sich halb auf und fragte Volkmar: »Mit welchem Recht trägt ein Christ einen Turban?« Niemand antwortete ihm. Gunther fiel in die Kissen zurück und starrte an die Decke. Wo waren seine Ritter geblieben? Wo die schönen Frauen? Wo der dumme Klaus mit seinem Eselshaar? Aber Volkmar dachte nur an diesen Gottfried ohne Kinn, der an jenem ersten Morgen in Gretsch so blöde vor sich hingekichert hatte. Ja - dieser Gottfried ohne Kinn, er war der wahre Vertreter der sechzehntausend Toten.
Volkmar dachte auch an die Mönche, die zum Kreuzzug aufgerufen und gesagt hatten: »Wir kämpfen für den Heiland, und manche werden sterben. Aber allen, die ihr Leben geben, werden ihre Sünden vergeben.« Jawohl - man hatte von Anfang an gewußt, daß es Verluste geben wird; und Hagarsi hatte gemeint, daß von hundert, die auszogen, nicht mehr als neun zurückkommen würden. Der Graf war sich im klaren darüber gewesen, daß das kühne Unternehmen die Gefahr des Todes einbeschloß. Als ein Mann in den späten Vierzig - für die damalige Zeit ein fortgeschrittenes Alter - und als Ritter war er auf seinen eigenen Tod vorbereitet gewesen. Nicht vorbereitet gewesen war er aber auf sieben Überlebende aus einem Heer von sechzehntausend. Seine Kehle war ausgedörrt. »Was habt ihr falsch gemacht?« fragte er seinen Schwager. Gunther sah erstaunt zu ihm auf. »Falsch gemacht?« fragte er ungläubig. »Du meinst, was wir falsch gemacht haben, damit die Türken gewinnen konnten?« Er schüttelte sich vor verzweifeltem Lachen. »Was haben wir falsch gemacht?« fragte er immer wieder, bis seine Schwester den Grafen und den Priester fortschickte. Einer der anderen Überlebenden, ein Freibauer aus der
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