Die Quelle
Kriegführung zu hören gewesen war, hatte er den einzig richtigen Schluß gezogen: daß es reine Glückssache sei, ob die Bewohner einer Stadt mit dem Leben davonkamen oder nicht. Seiner von Angst geplagten Familie erklärte er deshalb: »Wenn eine Stadt eingenommen ist, sind die Kreuzfahrer so erbittert, daß sie alle hinschlachten, Juden, Christen, Mohammedaner. Aber sobald die Hitze des ersten Kampfes vorbei ist - sagen wir am dritten Tag -, behandeln sie alle, die dann noch leben, gut.« Nach einer kurzen Pause fuhr er fort: ». so gut, daß die Ritter sich ihre Frauen unter denen aussuchen, die sie drei Tage vorher noch mit ihren Lanzen aufgespießt hätten.« Er blickte auf seine zitternde Familie und sagte rauh: »Also müssen wir drei Tage überleben. Aber wo?«
Er durchsuchte die Stadt allein und in aller Heimlichkeit, damit kein anderer die Früchte seiner Mühe ernten konnte. Eine Weile dachte er an den Keller unter dem Heu, kam aber davon wieder ab, denn er hatte gehört, daß die Kreuzfahrer stets das Heu anzündeten, um später Futter für ihre Pferde suchen zu müssen. Im Schuppen hinter den Stapeln von Säcken voll Weizen? Dort saß man bestimmt in der Falle, denn die Krieger waren hungrig und zogen sicherlich die Säcke fort. In seiner Sorge fiel ihm dann jedoch der alte Schacht ein, der jetzt fast ganz mit Schutt gefüllt war; wahrscheinlich hatte er einmal zu irgendeinem tiefen Brunnen geführt. Das war ein kühler Ort, und kein Mensch in Makor dachte mehr an ihn, denn der Stollen, zu dem er einst geführt hatte, war längst vergessen. In diesem Schacht also versteckte Schalik ibn Tewfik am 21. Mai 1099 sich und seine Frau Raja, seine sechzehn Jahre alte Tochter Taleb bint Raja und seine Söhne, nachdem er zuvor dort unten eine kleine Höhle gegraben und selbstverständlich auch Wasser und Nahrung für drei Tage mitgenommen hatte. In dem engen Loch hörten Schalik und die Seinen das Rufen der ersten Kreuzfahrer in den Straßen, den Lärm eines kurzen Gefechts und dann das Schlurfen vieler Füße auf dem Platz. Sie hörten auch Schreie, wie Schalik es vorhergesagt hatte, und sie rochen Rauch. Aber die Nachfahren des Mannes Ur hielten durch, einen Tag, zwei Tage, drei Tage.
Als Gunther Makor einnahm - es war keine schwierige Sache, denn die Stadt hatte keine Mauern, und die Türken verteidigten sich kaum -, töteten er und seine Mannen jeden Bewohner, der sich zeigte. Christen und Mohammedaner gingen miteinander zugrunde, und in einer Ecke bei den Ruinen der östlichen Mauer wurden die Juden von Makor zusammengetrieben, die letzten Abkömmlinge Joktans und
Zadoks und Jabaals - alle ließ Gunther erschlagen, Mann, Weib und Kind. Seine Leute wollten ein junges Mädchen am Leben lassen, aber Gunther ließ es nicht zu. »Es gibt keinen Verkehr mit den Feinden Christi!« brüllte er. Und mit dem letzten Schwertstreich war der letzte Jude von Makor ausgerottet - nie wieder hat einer in der Stadt auf dem Hügel gewohnt.
Während dieser Metzelei kam es zu einem Zwischenfall. Ein Jude, ein Bauer, wollte sich nicht wehrlos niedermachen lassen und versuchte, sich mit einer Axt den Weg freizukämpfen. Gerade kam Graf Volkmar von Gretsch vorbei, angewidert zur Seite blickend, um das sinnlose Dahinschlachten nicht sehen zu müssen. Da sprang der Jude ihn an und brachte ihm eine klaffende Wunde am linken Bein bei. Das Blut schoß hervor, der Jude wollte die Axt noch einmal schwingen, aber da schlugen schon zwei aus Gunthers Trupp den Juden tot. In jener Nacht, als es aussah, als müsse der weißhaarige Graf von Gretsch sterben, schrieb Wezel betrübt folgendes nieder:
»Die große Heimtücke der Juden ist wieder einmal bewiesen, denn nachdem die Stadt uns schon sicher war, bewaffnete sich ein starker Jude doch noch mit einer Axt und lag boshaft im Hinterhalt, um sich teuflisch auf meinen Herrn Volkmar zu stürzen und sein linkes Bein fast abzuhauen. Wir brachten den Grafen in eine saubere Kammer und legten ihn auf ein Bett. Seine Augen blickten auf ein Kruzifix, das dort hing, denn unseligerweise hatten wir an jenem Tag auch viele Christen getötet, was man vergeben kann, denn sie sahen ganz wie die Araber aus, und in der Hitze des Kampfes konnten wir die Gerechten nicht von den Ungerechten unterscheiden. Als Graf Volkmar das Kreuz sah, wußte er, daß abermals Christen erschlagen worden waren, und wäre wohl am liebsten vor Kummer gestorben. Doch ich blieb bei ihm in jener Nacht und
verband das Bein und
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