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Die Quelle

Titel: Die Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A Michener
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lang, 1104 bis 1105, arbeitete Gunther fieberhaft an seinem Meisterwerk. Als es dem Ende zuging, freuten sich die Fronarbeiter darauf, wieder ihre Felder bestellen zu können. Aber damit war es nichts. Denn nun sollte eine nicht minder wichtige Arbeit beginnen: der Bau einer mächtigen Mauer von zwanzig Fuß Dicke rund um die ganze Hochfläche des Stadthügels. »Die Bauern müssen nach Hause, zu ihren Familien«, schimpfte Volkmar. Gunther hingegen knurrte, wenn die Stadt nicht befestigt sei, werde eines Tages keiner hier mehr eine Familie haben, zu der er heimkehren könne. So begann der Bau der Befestigung, durch die das so lange ungeschützte Makor - seit tausend Jahren, seit Vespasian, hatte es keine Mauer mehr gehabt - in das Musterbeispiel einer Kreuzfahrerstadt verwandelt wurde: Die Burg, die Basilika, die Moschee - alles war von der gewaltigen Mauer umschlossen.
    Die neue Mauer lag verständlicherweise weit innerhalb des Bereichs der alten, von den Kanaanitern und Juden errichteten Mauern, denn da der Hügel höher geworden war, hatte sich die bebaubare Fläche entsprechend verkleinert. Als die riesige Befestigung vollendet war, hatte sich nicht nur das Gesicht von
    Makor gewandelt, sondern auch das Leben in der Stadt. Innerhalb der Mauern wohnten nur noch dreihundert Ackerbürger, denn die Burg und die Kirchen nahmen den weitaus größten Teil der Fläche ein. Da aber die nun so stark befestigte Stadt den Frieden ringsum sicherte, konnten mehr als fünfzehnhundert Bauern ungefährdet außerhalb der Mauern leben und sich, falls wirklich einmal ein Feind kam, in den Schutz der festen Stadt flüchten.
    Endlich war auch die Stadtmauer fertig. Gunther hatte seine helle Freude an der geballten Macht, die da vom Hügel herabdrohte. Volkmar jedoch, der eines Tages in den Olivenhain gehumpelt war, um von dort aus die Türme in die Luft ragen zu sehen wie freche Herausforderungen des Landes rundum, war bekümmert: Wir haben, so überlegte er, die Bauern Jahr um Jahr fronen lassen und nichts anderes gebaut als ein Gefängnis, ein steinernes Grab, in dem wir von den Menschen abgeschnitten sind, die uns ernähren müssen, wenn wir weiterleben wollen. Er sah in der Burg und der ummauerten Stadt nicht eine sichere Feste, sondern einen ungeheuren Irrtum, in dem die Kreuzfahrer sich selbst gefangen hatten, um eines Tages dort oben zugrundezugehen. Er humpelte auf seinen Krücken zurück, um mit Gunther zu reden, der sogar jetzt noch neue Türme über der Nordmauer zum Wadi hin bauen ließ. »Die Burg ist fertig«, sagte Volkmar, »da ist nichts mehr zu machen. Und du hast die Stadt ummauert, auch das ist geschehen. Aber wie willst du das Land in das Herz deines Baues bringen?« Gunther blickte seinen früheren Schwager an, als sei der Krüppel verrückt. »Land?« lachte er. »Wir sitzen sicher hinter diesen Mauern und lassen das Land tun, was es will. Es ist ein grausames Land, und immer wird es so sein. Eines Tages wird das Land auf der Straße von Damaskus her gegen uns ziehen. Oder die Angreifer werden auf dieser Straße vom Meer her kommen.
    Oder herauf durch den Olivenhain, von Süden. Das Land? Soll es nur versuchen, uns zu fassen!« Und schon sprang er wie ein Feind, der Makor bezwingen wollte, gegen die Mauer und krallte seine Finger in die Steine. Aber das Gestein war so dicht gefugt, daß seine Finger keinen Halt fanden und seine Hände von der Mauer abglitten.
    »Zum Teufel mit dem Land!« schrie er. »Wenn sie kommen, stehen meine Mannen oben und gießen Öl auf sie herab. Wir zermalmen das Land, wenn es versucht, unsere Mauern anzugreifen.« Er trat zurück, um mit bewunderndem Blick seinen Bau zu betrachten. Volkmar aber wurde das Gefühl nicht los, daß dieses Makor nichts sei als ein großes Gefängnis, in das sich die Kreuzfahrer freiwillig eingeschlossen hatten.
    Als die Wehrbauten, die vollendetsten südlich von Antiochia, fertig waren, hätte Gunther seine Tage in Muße verbringen können. Aber immer noch quälte ihn eines, so sehr, daß es ihn nachts wach hielt. Das Wichtigste fehlt uns, dachte er unentwegt: Wir haben kein Wasser. Er hatte selbstverständlich alles nur Mögliche getan, hatte tiefe Zisternen graben, mit Steinen ausmauern und wasserdicht verputzen lassen. Er hatte von jedem Dach aus eine Wasserrinne so verlegen lassen, daß alles Regenwasser in die tiefen Behälter laufen mußte. Aber was geschah, wenn eine Dürre sich mit den Belagerern verbündete? Wenn der Durst die Verteidiger

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