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Die Quelle

Titel: Die Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A Michener
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schienen die Berge sich wie Reihen angreifender Krieger der Stadt zu nähern, aufgehalten lediglich durch das tiefe Wadi. Gunther schaute und grübelte: Ob das Wadi wohl etwas mit dem Wasser zu tun hatte? Und warum haben sie den Schacht so tief gegraben? Doch die Landschaft, die da vor seinen Augen ausgebreitet lag, gab keine Antwort. Verzweifelt kniete er auf der Mauer nieder und betete: »Allmächtiger Gott, wo hast Du das Wasser verborgen?« Voller Zorn schrie er seine Worte nochmals und nochmals und hämmerte dabei mit den Fäusten auf die kalten Steine: »Gott! Gott! Wo hast Du das Wasser verborgen? Ich brauche es!« Und da Gott nicht immer nur die Sanftmütigen bevorzugt, die in den Basiliken Choräle zu Seinem Preis singen, fiel das Mondlicht nun auf das Wadi. Gunther sprang auf wie ein Mann, dessen Bett Feuer gefangen hat, und rief: »Ich weiß es! Sie haben so tief gegraben, weil das Wasser dort draußen ist!«
    Im ersten Morgengrauen eilte er zurück zum Schacht und rief Lukas: »Ich weiß, wo das Wasser ist!« Dann nahm er fünf bewährte Arbeiter mit sich hinab und versuchte zu schätzen, wo Norden lag. Mit viel Glück fand er die Richtung ziemlich genau. Und nun mußten seine Männer graben. Den ganzen Tag arbeiteten sie, von Gunther angetrieben. Ablösung kam herunter, Körbe um Körbe voll Schutt wurden hinaufgezogen. Und nach Einbruch der Nacht stieß ein griechischer Arbeiter mit seiner Schaufel plötzlich durch eine dünne Lehmschicht ins Nichts. Wie ein Wahnsinniger stürzte Gunther auf das Loch. Im Schein seiner Wachskerze sah er den seit so langer
    Zeit vergessenen Davidsstollen, den Jabaal Wiedehopf mit seinen moabitischen Sklaven gegraben hatte. Ohne auch nur an die Möglichkeit eines Unfalls oder einer Überraschung zu denken, hastete er den Stollen entlang, bis er die Wand vor sich aufsteigen sah. An ihrem Fuß fand er den alten Brunnen. Die Quelle.
    Gunther war, als er an diesem Abend zur Burg zurückkehrte, keineswegs freudig gestimmt. Zwar wußte er jetzt, daß seine Burg und seine Stadt nun selbst gegen den stärksten Feind gesichert waren. Sein Abstieg in die Dunkelheit und seine Begegnung mit Gott aber mahnten ihn, wie vergänglich das Leben war. Man mußte an die Zukunft denken. Als Lukas kam, ihn zu beglückwünschen, fand er keinen lärmenden deutschen Ritter, sondern einen demütigen Mann, der leise sagte: »Es wird Zeit, daß ich mir eine Frau suche.«
    An diesem Abend wartete Lukas, bis Graf Volkmar, der darauf bestanden hatte, in seinem alten Haus wohnen zu bleiben, zu Bett gegangen war. Dann rief der Vogt leise nach seiner Tochter Taleb. Den Blick gesenkt, sagte er zu ihr: »Herr Gunther denkt daran, sich eine Frau zu nehmen.« Schweigen. »Heute habe ich das Bein unseres Herrn Volkmar untersucht. Es wird nie mehr heilen.« Schweigen. »Er wird nicht mehr lange leben.«
    »Jeden Morgen hat er Fieber«, antwortete Taleb.
    Lukas hielt es nunmehr für angebracht, ganz offen zu sprechen. »Ich habe oft über unseren Herrn Gunther nachgedacht. Findest du es nicht sonderbar, daß er mit so vielen Frauen schläft. Einen ganzen Harem hat er. Ägypterinnen. und diese Dirne aus Acre. Aber ich habe nie gehört, daß eine schwanger geworden ist.«
    Vater und Tochter sahen einander für einige Augenblicke in die Augen. Dann fuhr Lukas fort: »Und so glaube ich, daß
    Herr Gunther keine Söhne haben kann. nicht einmal, wenn er wollte.«
    Taleb legte die Hände gefaltet vor ihrem Vater auf den Tisch und sagte: »Du darfst nicht vergessen, daß der kleine Volkmar dein Enkel ist. mein Sohn.« Und nach einer Weile des Schweigens: »Was schlägst du vor?« Lukas schluckte.
    »In den nächsten drei, vier Wochen wird Herr Gunther damit beschäftigt sein, seinen Brunnen auszuräumen. Und dann wird er sich anderen Dingen zuwenden.« Schweigen. »Wenn ich du wäre, würde ich mich so hinstellen, daß ich gut zu sehen bin, wenn er in der Nähe ist.« Volkmar rief vom Schlaf gemach nach seiner Frau, er habe Schmerzen im Bein. Taleb möge ihm seine Krücken holen. In den nächsten Tagen fand Taleb bint Raja, die einundzwanzig Jahre alte bekehrte Christin, immer wieder Gelegenheit, den Brunnenstollen und die neue Burg zu besichtigen. Und als eine Karawane von Kaufleuten von Damaskus kam und Gunther diese Gelegenheit zum Anlaß nahm, die große Halle der Burg einzuweihen (in den kommenden Jahrhunderten ist sie von Pilgern als der schönste Innenraum des Orients gerühmt worden), stellte sich Taleb als

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