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Die Quelle

Titel: Die Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A Michener
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bezwang? Eines Tages sprach er mit Lukas, der alle Arbeiten überwachte, über seine Sorgen. Der bekehrte Christ sagte: »Herr Gunther, als ich mich in der Höhle versteckt hielt. vor Euch.« Gespannt sah Gunther den Vogt an. ». da hatte ich das Gefühl, in einem Schacht zu sein, der zu einem Brunnen führt.«
    Gunther meinte, das Herz bleibe ihm stehen. Wenn es eine gesicherte Wasserversorgung gäbe. innerhalb der Burg. »Wo ist deine Höhle?«
    »Wir haben sie aufgefüllt, als wir den Boden pflasterten«, erklärte Lukas und deutete auf einen Raum im Erdgeschoß der Burg.
    Gunther wollte schon seinen Vogt schlagen, aber er bezähmte sich. »Warum hast du mir das nicht gesagt?«
    »Ich wußte nicht, was Ihr vorhattet, Herr.«
    »Hol mir zwanzig von deinen besten Leuten«, befahl Gunther. Noch am gleichen Tag ließ er die erst vor ein paar Wochen verlegten Pflastersteine herausreißen. Und dann begann das Graben, zehn Fuß tief, fünfzehn, zwanzig - Lukas wurde es ungemütlich. Endlich stieß man auf abgekantete Steine, die nicht zufällig hierhergeraten sein konnten: Sie waren bei der Ummauerung des alten Schachtes angelangt, den Wiedehopf vor mehr als zweitausend Jahren gebaut hatte. Gunther zwängte sich hinab und sah mit eigenen Augen die ausgezeichnete Arbeit. Nach allen vier Seiten ließ er weitergraben, und als der Schacht freigelegt war, sah man die abgetretenen Stufen. Nun wußte Gunther, daß dort unten Wasser zu finden war.
    Alle verfügbaren Arbeiter mußten graben, mehr als hundert Fuß tief. Ungeduldig trieb Gunther sie an, und unnachgiebig hielt er an seiner Überzeugung fest, daß sie auf Wasser stoßen mußten. Aber sie kamen nur auf harten Felsboden und fanden nichts. Gunther stieg enttäuscht in den Schacht hinab, hämmerte verbittert auf das Gestein und brüllte: »In Gottes Namen, wo ist das Wasser?« Doch da war nur Staub und Stein.
    Unverrichteter Dinge stieg er aus dem Schacht ans Licht. Aber der Gedanke an das Wasser verfolgte ihn Tag und Nacht. Er grübelte, und unglücklicherweise kam eine Dürre. Der Regen sollte fallen, aber er fiel nicht. Gunther wurde nahezu verrückt, wenn er sich vorstellte, daß solch eine Trockenheit mit einem Angriff zusammenfiel und er hilflos innerhalb seiner Mauern verdursten mußte. Er tobte vor Volkmar: »Wie kann eine Quelle austrocknen, wenn sie einst geflossen ist?« und bat ihn, die ersten Stufen am oberen Ende des Schachtes hinabzusteigen (was Volkmar mit seinen Krücken schwer genug fiel). Hier konnte der Graf selbst sehen, daß Gunthers Gedanke an einen Brunnen in der Tat keineswegs unsinnig gewesen war. Bei dieser Gelegenheit aber führte eine zufällige Bemerkung Volkmars schließlich zur Aufklärung des Geheimnisses. Der Graf sah nämlich auf die Stufen an den Wänden des Schachtes und sagte zu Gunther: »Sie sind von tausend und abertausend nackten Füßen ausgetreten.«
    »Was meinst du damit?« fragte Gunther.
    »Sieh dir doch das an! Das müssen doch Frauen gewesen sein.« Die Vorstellung, daß hier eine Unzahl barfüßiger Frauen zum Grund des Schachts hinabgestiegen waren mit ihren Wasserkrügen, ließ Gunther nicht mehr los. Eine Woche lang zermarterte er sich das Hirn. Wo konnten sie denn alle dort unten bleiben? fragte er sich immer wieder. Eines Abends fiel es ihm ein: Sie sind gar nicht im Schacht geblieben. sondern woanders hingegangen. Nochmals stieg er hinab bis zum festen Felsboden. Wieder sah er vor seinem inneren Auge die endlose Reihe der Frauen an sich vorüberziehen. irgendwohin. Wie ein Besessener kratzte er an den Mauern und suchte nach dem Weg der Frauen - vergeblich. Er gab den Männern oben ein Zeichen, ihn hinaufzuziehen, und irrte durch die Straßen von Makor, wie von Geistern gejagt. Dann und wann blieb er jählings stehen und wandte sich nach diesen barfüßigen Frauen um, die ihn verfolgten. »Wohin seid ihr gegangen?« schrie er sie an - Kerith, die fromme Jüdin, die jene Stufen hinabgestiegen war, um das Werk ihres Mannes zu bewundern, und Gomer, die in der Tiefe mit Gott gesprochen hatte. »Wohin seid ihr verschwunden?« Aber die Geister blieben stumm.
    Und dann tat er, was Jahrtausende hindurch alle Männer von Makor in schwieriger Lage getan hatten: Er kletterte auf die noch nicht ganz fertige Mauer und blickte sich um. Im Westen konnte er die Lichter von Saint Jean d’Acre sehen und dahinter das im Mondschein glitzernde Meer; im Süden lagen die Ölbäume und, jetzt unsichtbar, die Sümpfe; von Norden her

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