Die Quelle
zu der Frage, sondern nannte die Punkte, einen nach dem anderen an den Fingern abzählend: »Ein Jude glaubt an Gott. Daß Er der Einzige ist, ohne körperliche Gestalt und ewig. Nur Gott darf angebetet werden, aber den Worten Seiner Propheten muß man gehorchen. Von den Propheten war Mose, unser Lehrer, der größte, und die Gesetze empfing er auf dem Berg Sinai aus der Hand Gottes. Der Jude gehorcht dem Gesetz des Mose. Er glaubt, daß Gott allwissend ist und allmächtig. Er glaubt an Belohnung und Strafe in dieser Welt und in der jenseitigen. Er glaubt, daß der Messias kommen wird und dann die Toten auferstehen.«
»Das meiste davon glaube ich auch«, sagte Volkmar. »Worin liegt der Unterschied?« Der Jude sah zögernd hinüber zur Kirche St. Peter und Andreas und wollte schweigen, um den Ritter nicht zu kränken. Aber Volkmar bestand auf Antwort: »Sprich nur weiter. Ich bin kein Priester.«
»Ihr glaubt, daß Gott dreifach ist, daß Er in Jesus menschliche Gestalt annahm und in dieser Gestalt angebetet werden kann. Das glauben wir nicht.« Unwillkürlich trat Graf Volkmar einen Schritt zurück. Eine Gotteslästerung war vor seinen Ohren ausgesprochen worden! Schon wollte er dem Juden den Rücken wenden, als auch er die Kirche sah, in der Musaffar gebetet hatte. War es nicht sonderbar, daß die Christen eine Kirche mit den Mohammedanern teilten, die sie doch bis auf den Tod bekämpften? Nicht aber mit den Juden, von denen das Christentum eigentlich herkam? Und so blieb er stehen und fragte: »Warum hassen wir die Juden so bitter?«
Der Bärtige erwiderte: »Weil wir bezeugen, daß Gott Einer ist. Zur Mahnung daran sind wir von Gott unter euch gesetzt.«
Volkmar sprach noch einige Zeit mit dem Juden und begab sich dann gedankenverloren auf sein Zimmer im Fondaco der Venezianer. Hier suchte er Musaffar auf. Gemeinsam begaben sie sich zum Gebet und aßen dann in einem Gasthaus, das Italienern aus einer Stadt bei Venedig gehörte. Während des Essens fragte Volkmar: »Wie behandelt eigentlich ihr Mohammedaner die Juden?«
»Mohammeds Haltung ihnen gegenüber war sehr gerecht«, antwortete der alte Kaufherr und warf das lose Ende seines Turbans zurück, weil er einen Schluck Wein trinken wollte. »Ihr wißt sicherlich, daß Mohammed ein jüdisches Weib hatte.« Wahres und Halbwahres brachte Musaffar vor und auch mancherlei von dem, was man sich beim Volk von Damaskus erzählte. Nach Meinung des Alten waren jedenfalls große Teile der Lehre Mohammeds direkt von den Juden übernommen.
In Acre wurde es von Tag zu Tag heißer, und jeden Morgen sagte Volkmar: »Heute muß ich nach Hause.« Aber immer wieder erfand er neue Ausflüchte, militärische Besprechungen vor allem mit den Ordensmeistern - und das langbeinige Tscherkessenmädchen war nicht minder ein Grund zum Bleiben. Den wahren Grund gab Volkmar nicht einmal sich selbst zu: die geistige Befriedigung, die er in seinen
Gesprächen mit dem Juden bei den Färberküpen fand. Von allen Bewohnern Acres schien einzig und allein dieser Jude über die letzten Fragen von Leben und Tod, von Gott und der Nichtigkeit des Menschen nachzusinnen. Und Volkmar hatte das Bedürfnis, über diese Dinge zu reden. »Halten die dreizehn Regeln des Maimonides mich vom Himmel fern?« fragte er eines Tages. »O nein!« rief der Jude voll Eifer. »Als er hier in Acre lebte, hat Maimonides einmal die schlichten Worte gesagt: >Gott ist jedem nahe, der sich Ihm zuwendet. Jeder findet Ihn, der Ihn sucht, und Er wendet Sich nicht ab.<«
»Ihr seid großzügiger als wir«, erwiderte Volkmar.
»Maimonides hat auch in einem Brief an einen Mann, wie Ihr es seid - an einen Nichtjuden, der Gott liebte -, geschrieben, daß dieser Mann Gott genauso anvertraut sei wie jeder Jude. Er schrieb: >Wenn wir von Abraham abstammen, dann stammt Ihr von Gott Selbst ab.<«
»Glaubst du das auch?« wollte Volkmar wissen.
»Ich glaube, daß Ihr Gottes eigenes Kind seid, obwohl Ihr Eure Nächte bei der pisanischen Hure verbringt.«
Volkmar hob die Hand, um den Juden zu schlagen. Aber aus diesem Mann sprach eine solche Würde, daß es eine Sünde gewesen wäre, dem Mann etwas zuleide zu tun. »Woher weißt du das?« fragte der Ritter.
»Weil ich wissen wollte, wer Ihr seid und welches Mißgeschick Euch verfolgt.«
»Acre verfolgt mich. Wie lange werden wir noch hier sein können, du und ich?«
»Nicht mehr lange«, sagte der Jude. »Und wenn die Mamelucken durch die Tore stürmen« - er blickte auf das
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