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Die Quelle

Titel: Die Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A Michener
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kleine Tor der verlassenen Karawanserei -, »dann werdet Ihr vielleicht entkommen, nicht aber ich.«
    »Warum fliehst du dann nicht schon jetzt aus Acre?«
    »Weil hier meine Heimat ist«, gab der Jude zur Antwort.
    Nach diesen Worten ging Volkmar. Aber am Morgen danach, als Volkmar aus dem Fondaco der Pisaner kam, bemerkte der Jude: »Ihr und ich, wir sehen den Tod von so verschiedenen Seiten, daß ich nicht weiß, ob Ihr eine meiner Handschriften zu sehen wünscht.«
    Es war eine sonderbare Frage, denn der erste Teil dessen, was der Jude gesagt hatte, schien mit dem zweiten gar nichts zu tun zu haben. Da aber Volkmar nichts vorhatte, stimmte er zu. Der Jude führte ihn zu einem verwahrlost aussehenden Schuppen, den die Genueser zu Beginn ihres Krieges mit den Venezianern geräumt hatten. Die Häßlichkeit war nur äußerlich; drinnen hatte die Frau des Juden ein sauberes, behagliches Heim geschaffen. An einer Wand des Raumes stand ein Regal mit Handschriften (und es waren Handschriften, die sogar damals schon unbezahlbare Kostbarkeiten darstellten). Der bärtige Jude nahm eine und zeigte sie Volkmar; die Pergamentblätter waren nicht hebräisch, sondern wunderschön arabisch beschrieben. Er deutete auf ein Blatt und sagte: »Diese Worte sind für Euch und mich bestimmt, für diese Stadt in diesem heißen Sommer.« Volkmar nahm den gewichtigen Band und las die Stelle. Maimonides behandelt hier den Fall des Rhases, eines zynischen Arabers, der eine Liste aller schlechten Dinge in dieser Welt aufgestellt hatte: Krieg, Hunger, Wollust, Betrug. Alle hatte der Araber aufgezählt, und am Ende war er zu dem Schluß gekommen, daß das Böse in der Welt das Gute überwiege, daß alles Hoffen unvernünftig und es besser gewesen sei, wenn der Mensch nie erschaffen worden wäre. Volkmar lachte bitter auf und sagte: »Wenn man an die Zustände hier denkt, möchte man tatsächlich diesem Rhases rechtgeben.«
    Der Jude nahm den Band wieder an sich und las vor, was Maimonides auf Rhases’ These erwidert hatte: »>Eine solche
    Begründung entstammt großer Engstirnigkeit. Ein Mensch sieht sein eigenes Schicksal oder das, was zufällig seinem Freund geschieht, oder die Unglücksfälle, die über die ganze Menschheit kommen, und er denkt: Das ist von allen Dingen das Entscheidende. Oder ein Mensch denkt, daß in seinem Leben Unglück das Vorherrschende sei, und so beurteilt er die ganze Welt nach dieser Erfahrung.<« Und nun fuhr der Jude mit donnernder Stimme fort: »>Aber wir sind nicht die Mitte des Weltalls, Ihr und ich, weder als Einzelwesen noch als die Vertreter der ganzen Menschheit. Gottes Weltall muß als ein großes Ganzes angesehen werden, aus Teilen aufgebaut, die in Wechselbeziehung stehen, und sein majestätischer Zweck ist nicht die Befriedigung unseres winzigen Selbst!<«
    Unwillkürlich entriß Volkmar dem Juden die Handschrift und las die Worte mit eigenen Augen. »Wie nennt man dich?«
    »Rabbi«, war die Antwort. »Bist du ein Anhänger dieses Maimonides?«
    »Nein. Er ist nur ein Jude gewesen, der einst in Acre gelebt hat, nicht mehr als Ihr oder ich, aber vielleicht klüger. Ich bin ein Anhänger Gottes. Er ist Einer, Er sieht uns, wie wir hier stehen. Er hält die Zukunft dieser Stadt in Seiner Hand.«
    »In letzter Zeit habe ich wieder mehr Hoffnung geschöpft«, log Volkmar. »Die Ernte ist gut. Der Handel verläuft gut. Ich möchte meinen, daß es beim Waffenstillstand bleibt.«
    »Diese Stadt?« lachte der Rabbi. »Mit elf Herren und siebenerlei Politik? Ich kümmere mich nicht um den Waffenstillstand mit den Mamelucken. Ich sorge mich um den Waffenstillstand mit uns selbst.« Er zuckte die Achseln. »Warum bleibst du dann?« wollte Volkmar wissen. In diesem Augenblick begann die große Eisenglocke von St. Peter und Andreas zu läuten.
    »Weil diese Stadt, wie sie ist, Erez Israel ist.« Dem Dröhnen der mächtigen Eisenglocke gesellte sich das fröhlichere Läuten der koptischen Kirche zu. »Was soll das heißen?« fragte Volkmar.
    »Maimonides hat es erklärt. >Erez Israel, das Land der Juden, nimmt kein fremdes Volk an und keine fremde Sprache. Es bewahrt sich seinen Söhnen.< So kann Eure Burg, auch wenn die Mamelucken sie belagern, niemals.«
    »Sag das nicht!« rief der Graf und hielt sich die Ohren zu, um nicht Worte hören zu müssen, wie er selbst sie gesagt hatte: Die Burg war nicht seine Heimat, und die Kreuzfahrer hatten Palaestina nie durch ein vernünftiges Regiment zu der ihren gemacht. Und

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