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Die Quelle

Titel: Die Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A Michener
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Musaffar sich in eine den Mohammedanern vorbehaltene Seitenkapelle begab, wo er sich vor einer mit Arabesken verzierten Nische niederwarf, die den Gläubigen Allahs die Richtung nach Mekka angab, und seine arabischen Gebete flüsterte. Eine islamische Kapelle in einer christlichen Kirche? Heißblütige Neuankömmlinge aus dem Abendland hatten sich oft genug über die Abmachung erregt, nach der die Christen ihre geweihten Kirchen mit dem Feind teilten, den zu erschlagen und zu vertreiben man gekommen war. Gerechtfertigt war diese Abmachung jedoch durch die Tatsache, daß außerhalb der Stadtmauern eine Moschee stand, in der den Christen eine Kapelle mit einer
    Madonnenstatue eingeräumt war. Für einen in Acre Fremden gab es noch manch andere höchst verwirrende Dinge: der Handel mit dem Hinterland lag zum größten Teil in den Händen der Araber, und zuverlässige Mohammedaner wie Musaffar wurden von den italienischen Kaufleuten geradezu umworben. Oder man suchte einen christlichen Priester und fand endlich einen - aber dann war er wahrscheinlich wie ein Syrer in lange orientalische Gewänder gekleidet und hatte einen langen Bart. Und das alles trug zu der endgültigen Katastrophe von Acre bei.
    Vorläufig aber feierte man Feste, herrliche Feste. Vor dem knabenhaften König Heinrich II. und seiner jungen Gemahlin ritten die Kreuzfahrer zum Turnier auf, ihre Pferde mit Blumen und Bändern geschmückt, die Ritter selbst in der Verkleidung der Idole aller Ritterschaft, als Lanzelot oder Tristan oder Parzifal, während andere, in Frauenkleidern, die Damen der Minne darstellten. Lanzen wurden im Turnier gebrochen, aber es gab auch Scheinkämpfe der »Damen« gegen die Ritter. Und es wurde viel gesungen. Beim Anblick der wirklichen Damen, die so elegant neben der schönen Königin saßen, mußte Volkmar an die herrlichen Zeiten denken, die er in seiner Jugend hier verlebt hatte. Damals waren alle Adelsfamilien sehr gespannt gewesen, welches junge Mädchen er sich zur Gräfin wählen würde, denn die Herren von Ma Cœur waren reich und die Gerüchte über die jüdischen Vorfahren vergessen. Und damals hatte sich Volkmar viele angesehen. Das waren die guten Zeiten gewesen. Und die Mamelucken hatten noch nicht in Safet gestanden.
    An diese schöne Zeit dachte er, als er jetzt durch die engen Straßen ging, und er dachte an die Mädchen, die lieblichen Mädchen von Acre. An die Nichte Bohemunds. An die kleine Ibelin, die aus jeder Burg entwich, in die ihre Eltern sie einzusperren versuchten. An die Großnichte des Königs von
    Zypern, die so gern Wein trank. Haben Menschen je so ein schönes Leben gehabt wie wir damals.? Von dem Fondaco der Venezianer, wo Musaffar wartete, ging Volkmar in das Quartier der Pisaner, wo man ihn als jungen Mann gut gekannt hatte. In der von Säulen umstandenen Karawanserei fragte er: »Sind sie oben?« Ein Mann, der keinen Zahn mehr im Mund hatte, antwortete: »Ja, sie sind oben.« Er eilte in das Obergeschoß, indem er wie ein Junger zwei Stufen auf einmal nahm, und ging die Galerie entlang auf eine kleine Tür zu, die sich vorsichtig öffnete und einen Lichtstrahl nach draußen fallen ließ. »Ihr könnt herein«, flüsterte eine Stimme.
    Drinnen waren Mädchen aus vielen Ländern. Eine hochgewachsene, weißhäutige Tscherkessin war die teuerste. Volkmars Augen leuchteten auf, als er sie sah. Sie merkte, daß er einer von denen sein mußte, die ein hübsches Geschenk zu machen pflegen, und lächelte ihn an. Volkmar ging an den Französinnen und Ägypterinnen und der Äthiopierin vorbei, die eine Sklavin gewesen war, nahm die große Tscherkessin bei der Hand und ließ sich von ihr in ein Zimmer führen, zu einer Nacht der Entzückungen. Eine Stunde vor Morgengrauen wurden die beiden von den Glocken geweckt. Volkmar sagte: »Wenn ich nach Acre zurückkomme, frage ich wieder nach dir.« Auf Arabisch antwortete sie ihm lockend: »Wenn du Freude bei mir gefunden hast, warum willst du sie möglicherweise verlieren?« Da riß er sie heftig in seine Arme und ging nicht, sondern blieb drei Tage bei ihr. Als er endlich Abschied nahm, sagte er: »Jetzt habe ich wenigstens noch einmal erlebt, wie ich früher gewesen bin.« Sie antwortete nur: »Ich wäre glücklich, wenn du morgen wiederkämest.«
    Volkmar hätte nur schwer erklären können, warum er in den heißen Hochsommertagen in Acre blieb. Er liebte seine Frau, und er war stolz auf seinen Sohn und auf sein Geschlecht. Es gab nicht viele adelige

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