Die Quelle
nun läuteten alle Glocken von Acre zu ungewohnter Zeit - es mußte etwas zu bedeuten haben. Man hörte Geschrei in den Straßen. Was immer geschehen sein mochte, Volkmar mußte jetzt bei seinen Leuten sein. So verließ er das Haus des Judenglaubens, das von außen so schäbig aussah und innen so sauber war.
Er lief zum Viertel der Venezianer. Viel Volk hatte sich hier eingefunden. Und immer noch jubelten die Glocken. Jetzt kamen Ritter aus den verschiedenen Stadtteilen gelaufen und riefen: »Die Kreuzfahrer! Die Kreuzfahrer sind da!« Volkmar stimmte in den Jubel ein, denn dort drüben, am Fliegenturm, der den Ankerplatz sicherte, sah man nun die Schiffe - eine ganze Flotte aus Europa. In einem Augenblick großer Gefahr war, wie so oft in der Geschichte von Acre, Verstärkung gekommen.
Während die Glocken immer noch läuteten, machte das erste Schiff am Kai der Venezianer fest. Aber Volkmar sah, daß es dabei ganz anders zuging als sonst: Weder der Kapitän noch die Mannschaft ließen etwas von jener gehobenen Stimmung erkennen, wie sie sonst die Menschen nach der langen, gefährlichen Fahrt bewegte. Lustlos warfen sie die Leinen, seufzend vertäuten sie das Schiff, als hätten sie endlich ein schmutziges Geschäft hinter sich. Schon bald sollten die Ritter von Acre den Grund dafür wissen.
Papst Nikolaus IV. der erste Franziskaner auf dem Stuhl Petri, hatte gehofft, sich einen Namen zu machen, indem er zu einem großen Kreuzzug aufrief, der endlich Jerusalem befreien sollte. Aber er hatte einen unglücklichen Zeitpunkt gewählt. Kein König war bereit, seinem Ruf zu folgen und mitzuziehen. England, das einst so viele tapfere Ritter entsandt hatte, gab keine Antwort, denn der englische König war mit den Wirren in Schottland beschäftigt. In Frankreich, dem Geburtsland der Kreuzzüge, blühte der Handel, und nach dem Tod des heiligen Ludwig hatten die Franzosen die Lust verloren, Jerusalem wiederzugewinnen. Aragon war in einen Krieg mit dem Papst verwickelt, und Krieg war auch zwischen Genua und Venedig. In ganz Europa hatte Papst Nikolaus nur in einer Gegend Freiwillige finden können, in Norditalien, und keine Ritter aus edlem Geschlecht waren es und keine Krieger, sondern armseliges Volk aus armseligen Dörfern - sechzehnhundert stumpfe Landarbeiter, die nichts von Jerusalem wußten und noch weniger von Acre.
Als dieses gloriose Heer über die Laufplanken an Land taumelte, verschlug es den Rittern und Bürgern von Acre den Atem: Da kam Pöbel, Männer mit hängenden Mäulern und gebeugt von der schweren Arbeit auf den Feldern, ohne Führung und ohne Waffen außer Messern und Prügeln. Sie stierten um sich, horchten auf die Glocken, streckten die steifgewordenen Beine und fragten: »Wo sind die Heiden?«
Durch einen von Gottes unerforschlichen Ratschlüssen gelangten einige aus dem Mob zur Kirche St. Peter und Andreas. Sie traten ein, um Gott für ihre glückliche Überfahrt zu danken. Als sie niederknieten, sahen sie in einer Seitenkapelle einen Ungläubigen, kenntlich am fremdartigen Gewand. Musaffar war es, der dort betete. Einer der Italiener stürzte zurück zur Kirchentür und schrie: »Die Heiden sind über uns gekommen!« Und schon blitzten Dolche auf, schon stürzten sich einige auf Musaffar und stachen zu. Schwer an der rechten Schulter verwundet, rannte der Araber schreiend aus der Kirche, verfolgt von den Kreuzfahrern. Draußenstehende, die den Mohammedaner mit seinem blutbedeckten rechten Arm sahen, dachten, er habe einen Christen getötet, und fielen mit Dolchen und Knüppeln über ihn her. Sie hätten ihn umgebracht, wäre nicht Volkmar in der Nähe gewesen. Er sprang dazwischen und rettete seinen alten Freund. Die Ritter von Acre erkannten sehr schnell, daß das größte Unheil geschehen mußte, wenn dieser Pöbel außer Rand und Band geriet. Sie eilten zu den tobenden Rotten und versuchten sie zu beruhigen. Aber der alte Kreuzzugsgeist war noch einmal lebendig geworden. Der Mob war nicht zu halten und raste durch die Stadt. Hatte man ihnen, den Kreuzfahrern, am Tag ihres Aufbruchs nicht das ewige Heil versprochen, wenn sie einen Ungläubigen niedermachten? Hier waren doch Ungläubige mitten unter ihnen! »Haltet sie auf!« befahl der Ordensmeister der Tempelherren. Seine Ritter riegelten die Straßen ab. Und immer noch dröhnten die Glocken. Völlig unerwartet wandte sich der Pöbelhaufen nach Norden.
Zwei syrische Priester kamen gerade aus der Kirche St. Markus von Antiochia Solche langen
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