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Die Quelle

Titel: Die Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A Michener
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endlich war ihm aufgegangen, daß der Rebbe wahr gesprochen hatte: »Wenn ein neues Rußland entsteht, werden wir beide immer noch Juden bleiben, und unsere Lage wird sich nicht bessern.« Der Gedanke an Tiberias, am See Genezareth gelegen, beschäftigte ihn immer mehr. Die nächsten Tage verbrachte er damit, sich mit den Juden zu beraten, die noch immer wie erstarrt waren über den ihnen völlig unbegreiflichen Ausbruch wüstester Brutalität bei ihren sonst so umgänglichen Nachbarn. Schmul sammelte Geld von ihnen für den Ankauf von Grund und Boden, damit in Erez Israel, in Tiberias, in Zukunft die Gemeinde im Frieden des Heiligen Landes ihre Felder bestellen konnte. Schließlich wandte er sich an den Sohn des Rebbe von Wodsch, der nun seine Studien in der Jeschiwa abgeschlossen hatte, und bat ihn, die Rückwanderung nach Erez Israel zu leiten. Doch der fromme junge Mann weigerte sich, das Dorf seiner Vorfahren zu verlassen. »Ich werde hierbleiben, als Rebbe. Vorige Woche noch hat mir mein Vater gesagt, daß Ihr schon sehr bald reisen werdet.« Der neue Rebbe betete mit Kagan, und am Schluß wiederholten sie das
    Wort, das alle Juden in der Zerstreuung sich zum Trost sagen: »Übers Jahr in Jerusalem!«
    Als Schmul im Jahre 1876 in Akka ankam, machte er es nicht wie die meisten jüdischen Einwanderer. Er kniete nicht nieder, um die Erde zu küssen, in der er einmal bestattet werden sollte, denn für ihn bedeutete Palästina nicht den Abschluß seines Lebens, sondern einen Anfang, und in diesem Sinne vollzog er eine Handlung von weit größerer Symbolkraft als das Berühren dieser Erde mit den Lippen: Er gab seinen russifizierten Namen Kagan auf, wandelte ihn um in die ursprüngliche hebräische Form, Hakohen, und als Schemuel Hakohen -Samuel, der Priester - begann er sein neues Leben.
    Die Reise von Akka nach Tiberias wurde für Schemuel, den erfahrenen Holzhändler, zu einem ernüchternden Erlebnis: Hatten ihn die Thora und der Talmud nicht gelehrt, daß Erez Israel ein Land mit reichem Baumbestand war? Aber jetzt sah er nichts als Öde. Auf der fünfzig Kilometer langen Strecke vom Mittelmeer bis zum See Genezareth, der einst See Kinneret geheißen hatte und nun von den Türken Bahr Tabarije genannt wurde, fand Schemuel Hakohen nur eine einzige größere Baumgruppe - die uralten Ölbäume von Makor. Schemuel fragte sich, wer wohl die Heimat der Juden so zugrunde gerichtet haben mochte. Seine düsteren Vorahnungen wurden noch bestärkt, als er den Hang erreichte, an dem Rabbi Akiba begraben lag. Von der Anhöhe schaute er hinab. Aber was er sah, war nicht das gewaltige, mit Marmor geschmückte Tiberias der Römer, nicht das herrliche Twerija des Talmud, sondern das Tabarije der Türken, eine verkommene Kleinstadt, eng und wie geduckt hinter den Mauern der Kreuzfahrer. Was ihm aber am meisten auffiel, war die völlige Unfruchtbarkeit des Landes. Er sah keine bestellten Felder. Kümmert sich niemand dort unten um die Bebauung? fragte er sich und dachte dabei an den schweren, dunklen Boden Rußlands. Als er zur Stadt hinunterstieg und durch das steinerne Tor schritt, entdeckte er, daß die Stadt genauso trostlos war wie die Felder ringsum. Und dann mußte er erleben, daß es auch hier Unduldsamkeit und Haß gab - das, weswegen er von Rußland fortgegangen war: Die Türken verachteten die Araber, und die sefardischen Juden sprachen kein Wort mit den Aschkenasim. Er versuchte, mit den Aschkenasim Freundschaft zu schließen, denn viele von ihnen waren aus Rußland und Polen. Sie aber lehnten ihn ab als einen Eindringling, der doch wohl nur versuchen wollte, an den wohltätigen Stiftungen aus Europa teilzuhaben. Als Schemuel erklärte, er brauche keine Unterstützung und habe nur die Absicht, sich den Juden anzuschließen, die für ihren Lebensunterhalt arbeiteten, fand er zu seinem Leidwesen bestätigt, was Lipschitz, der Spendensammler, in Wodsch gesagt hatte: Die Juden von Tabarije arbeiten nicht. Um des Heils der Juden in der übrigen Welt willen verbrachten sie ihre Zeit mit nichts anderem als dem Lesen des Talmud. Hätte er diesen Juden erklären wollen, daß er die Mittel für den Ankauf von Ackerland draußen vor den Mauern bei sich trug - ein dreifacher Lügner wäre er für sie gewesen: »Kein Jude hat so viel Geld. Und dieser schon gar nicht. Und wenn er es hätte, wäre es Wahnsinn, es für Land außerhalb der Mauern auszugeben.« Schon am Nachmittag seiner Ankunft begann er, nach anbaufähigem Land

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