Die Quelle
Ausschau zu halten. In der Nähe der Stadtmauern fand er keines. Darum ging er am nächsten Morgen nach Kapernaum, am nördlichen Ende des Sees. Hier lagen weite Flächen, die ihm geeignet erschienen. Und auch am gesamten Westufer des Sees entdeckte er genug Land, das man unter den Pflug nehmen konnte. Sofort schrieb er einen überschwenglichen Brief nach Wodsch, im vertrauten Jiddisch: »Hier wartet brachliegendes Land, das so ergiebig werden kann wie der Boden in Rußland. Ich werde euch benachrichtigen, sobald ich den Kauf abgeschlossen habe.« Zwei Tage später wanderte er zum Südufer des Sees, wo der Jordan seinen steilen Abfall zum Toten Meer beginnt. Hier, an diesem heiligen Fluß, fand er das Land, das er suchte, und hier fand er auch die alte Goldmünze. Jetzt brauchte er nicht mehr weiter zu suchen. Hier konnten die verfolgten Juden seines Dorfes ihre Höfe bauen und die Weinberge neu bepflanzen, die seit den Tagen Roms brachgelegen hatten. In seinem zweiten Brief nach Wodsch berichtete er: »Ich habe unser Land Kefar Kerem genannt, das >Dorf der Weingärtenc. Hier werden wir Wein keltern, wie Salomo gesungen hat: >Komm, mein Freund, laß uns aufs Feld hinausgehen und auf den Dörfern bleiben, daß wir früh aufstehen zu den Weinbergen, daß wir sehen, ob der Weinstock sprosse und seine Blüten aufgehen.. .< Fangt schon jetzt an zu packen.«
Schemuel hatte sein Land im Februar 1876 entdeckt. Aber als er versuchte, es zu kaufen, stieß er auf derart verworrene Zustände, daß er sofort warnend schrieb: »Verlaßt
vorsichtshalber Wodsch noch nicht, bis ich herausgefunden habe, wem unser Land gehört.«
Wem das Land gehörte - dies festzustellen, kostete ihn allein achtzehn Monate. Und erst nachdem er drei Beamte bestochen hatte, ließ man ihn gnädigst die Anschrift des Besitzers erfahren: »Emir Tewfik ibn Alafa, wohlbekannt in Damaskus.« Als er jedoch dem Emir durch einen teuer bezahlten arabischen Schreiber sein Angebot machte, einen guten Preis für das brachliegende Land zahlen zu wollen, erhielt er nur eine kurze Antwort seines Sekretärs: »Emir Tewfik hat dieses Land niemals gesehen, empfängt keine Pacht dafür, ist sich nicht sicher, wo es sich überhaupt befindet, und hat außerdem nicht den Wunsch, zu verkaufen.« Ende 1877 lernte Schemuel Arabisch und ging zu Fuß nach Damaskus. Zwei Monate lang versuchte er, den Großgrundbesitzer zu sprechen. Aber der
Emir weigerte sich, ihn vorzulassen. Ein lang aufgeschossener Würdenträger in Fes und weißem Gewand erklärte: »Emir Tewfik ibn Alafa hat noch nie mit einem Juden gesprochen, und er hat auch nicht die Absicht, dies jetzt zu tun.«
»Möchte er denn keinen Nutzen aus seinem Land ziehen?«
»Emir Tewfik kauft oder verkauft niemals.«
»Kümmert es ihn denn nicht, daß das Land brachliegt?«
»Emir Tewfik besitzt Tausende von Morgen unbebautes Land. Das berührt ihn nicht.«
Schemuel blieb nichts anderes übrig, als Damaskus zu verlassen, ohne den Emir gesehen zu haben. Fast war er schon entschlossen, den Gedanken aufzugeben, diese herrlichen Felder kaufen zu können. Aber da lernte er auf dem Heimweg nach Tabarije einen vergnügten Araber kennen, dem er sich anschloß. Und der riet ihm: »Wendet Euch an den Kaimakam. Für genügend Geld tut der alles.«
»Sogar Land für mich kaufen?« fragte Schemuel. »Alles.«
Also verbrachte Hakohen die nächsten drei Monate damit, Türkisch zu lernen. Anfang 1878 meldete er sich im Amtszimmer des Kaimakam an, um sich für eine Unterredung vormerken zu lassen. Zu seiner Überraschung empfing ihn der Kaimakam, ein großer, hagerer Türke von etwa siebzig Jahren, und hörte sich mitfühlend seine Sorgen an. Die Situation war jedoch folgende: Der Kaimakam wußte, daß er in zwei Monaten Tabarije verlassen würde, aber außer ihm selbst ahnte es noch niemand, und am allerwenigsten ahnte es Schemuel Hakohen. Darum hielt der Landrat den kleinen Juden hin, erleichterte ihn um eine erhebliche Summe Bakschisch und zog sich dann vom Dienst zurück, ohne auch nur einen einzigen Brief wegen des Landkaufes geschrieben zu haben. Als Hakohen diese Niedertracht entdeckte, fand er noch etwas heraus: Sein vergnügter arabischer Weggefährte, der ihm vorgeschlagen hatte, seine Sorgen dem Kaimakam vorzutragen, war ein Vetter des Landrats und hatte zehn Prozent des Bakschisch eingestrichen!
Schemuels Enttäuschung war so groß, daß er es nicht länger in Tabarije ausgehalten hätte, wo er sich mit korrupten
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