Die Quelle
Kameraden aussuchen?« Die beiden Jungen mit den Locken traten zusammen, die vier ohne Locken bildeten die andere Gruppe. »Gut«, wiederholte Reich. Dann packte er die Fransen, die unter dem Hemd eines der orthodoxen Jungen hervorsahen. »Wie heißt du?«
»Jaakow«, antwortete er.
»Jaakow, ich will, daß du mit deinem Freund so nahe an das arabische Viertel herangehst, wie du dich traust. Geldzenberg und Peled hier werden sich hinter euch im Schatten halten und euch mit ihren Gewehren beschützen. Und ihr sollt einem
Freund zurufen, der gar nicht da ist. ihr versteht schon. so laut ihr könnt: >Die Palmachniks haben eine große Kanone mitgebracht.< Wenn euch jemand nach der Kanone fragen sollte, dann denkt euch irgend etwas aus. Verstanden?« Die Jungen nickten. Reich fuhr fort: »Gut. Jetzt gehen wir alle auf die Straße, und ihr zeigt mir, wie laut ihr schreien könnt.«
Die sechs Jungen gingen mit Reich in die Dunkelheit. Gottesmann konnte sie rufen hören, vier auf Hebräisch, zwei auf Jiddisch: »Die Palmachniks haben eine große Kanone mitgebracht.« Als die dünnen Stimmchen sich in der Richtung des Araberviertels verloren, war Gottesmann sicher, daß der Feind sie verstehen mußte. Aber dann hörte er Teddy Reich Ilana zuflüstern: »Glaubst du, daß Gottesmann sich für den Angriff zusammenreißen kann?«
»Ich glaube schon, daß er es schafft«, antwortete sie.
Die Geheimwaffe, die der Palmach nach Safad geschleppt hatte, war von der Art, wie sie jedem Soldaten einen Schreck einjagt, besonders denen, die sie bedienen müssen. Nachdem Bagdadi sie besichtigt hatte (und er verstand mehr von Sprengstoffen als alle anderen), sagte er zu Ilana und Vered: »Den Arabern macht das Ding vielleicht keine Angst. Aber ich. ich möchte am liebsten abhauen.« Er nahm sie mit auf das Dach, wo das »Ding« stand: ein dreieckiger Untersatz, etwa fünfundsiebzig Zentimeter breit, an einem Ende ragten Schienen auf, dazwischen ein verstellbares Stahlrohr, das eine Firma H. Besse irgendwo in Deutschland gegossen hatte. Es trug die Nummer 501, hatte etwa zwölfeinhalb Zentimeter Kaliber und war siebzig Zentimeter lang. In das Rohr dieses primitiven Werfers konnte man ein Geschoß stecken, das aussah wie ein übergroßer Kartoffelstampfer - dick und breit am einen Ende, dünn und schmal am Griff - und genau in das Rohr paßte. »Die Leitflächen hier machen den Krach«, erklärte Bagdadi, indem er auf vier Blechflossen deutete, die vom dünnen Ende des Geschosses abstanden. »Wenn es durch die Luft fliegt, heulen sie, als wären sie lebendig. Es klingt grauenhaft. Aber sehr viel Schaden richtet das Ding nicht an.«
»Wie heißt es denn?« fragte die kleine Vered.
»Davidka«, sagte Bagdadi. »Davidchen. Er hilft uns im Kampf gegen Goliath.« Er deutete auf die Polizeistation, die er in wenigen Tagen angreifen mußte. In dieser Nacht wurde die Davidka zum erstenmal abgefeuert. Wie Bagdadi vorausgesagt hatte, machte das Geschoß ein fürchterliches Geräusch, als es durch die Luft flog. Die Araber mußten einen ganz hübschen Schreck bekommen haben. Dafür machte es um so weniger Schaden, denn es fiel nicht auf die Nase und explodierte deshalb nicht. Der Palmachnik, der den Werfer bediente, machte deshalb einen Vorschlag, der bei Bagdadi helles Entsetzen auslöste: Ehe die Davidka abgefeuert wurde, sollte eine gewöhnliche Zündschnur in ihre Spitze gesteckt und mit einem Streichholz angesteckt werden. Dann wurde die Treibladung gezündet und der brennende Kartoffelstampfer abgeschossen. Wenn er auf die Nase fiel, ging er los. Wenn nicht, brachte ihn die brennende Zündschnur zur Detonation. Die nächsten beiden Schüsse klappten. Aber Bagdadi machte sich Sorgen: »Was passiert aber, wenn es bei der Treibladung eine Fehlzündung gibt, und der Stampfer bleibt im Rohr stecken. mit der brennenden Zündschnur?« Der Palmachnik am Werfer deutete auf ein Mädchen. »Wenn das passiert, saust sie vor und reißt die Zündschnur raus. Hoffentlich rechtzeitig.« Das Mädchen war ungefähr sechzehn.
Die Nutzlosigkeit der Davidka wurde deutlich, als die Araber einige richtige Geschütze auffuhren und mit Granaten in das überfüllte jüdische Viertel schossen. Das Ergebnis war gräßlich. Wo die schweren englischen Geschosse detonierten, zerfetzten sie die aus Lehm und Steinen gebauten Häuser. Einige Juden wurden lebendig unter den Trümmern begraben.
Überlebende rannten auf den Straßen umher und verfluchten die Palmach-Soldaten:
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