Die Quelle
Schmuckstück für den Berghang, das die leeren Araberhäuser rundum würdig überhöhte. Zur Rechten lag schlicht und geduckt die alte Synagoge des Wodscher Rebbe. Sie verlieh weder der Landschaft noch den umliegenden Häusern aus Lehmziegeln die geringste künstlerische Würde. Dafür konnte sie aber unleugbar von sich behaupten, daß Jahrhunderte hindurch hartnäckige Männer, die an den Einen Gott glaubten, durch ihre Tür geschritten waren. Und dieser Eine Gott hatte im Leben der Menschen stets eine bedeutsame Rolle gespielt, sofern die Menschen Ihm diese zugestanden hatten.
Tabari saß auf den Stufen, die Ellbogen auf den Knien, das Kinn aufgestützt, und sagte zu Cullinane: »Habe ich dir schon einmal etwas über die Verteidigung von Acre erzählt? Du weißt, daß ich, als Sohn von Sir Tewfik Tabari, die Aufgabe erhalten hatte, die alte Stadt zu verteidigen. Männer und Material hatte ich genug. Und meine ganz besondere Freude war es, daß wir in der Karawanserei des alten Fonduk der Venezianer genug Munition hatten, ganz Falastin in die Luft zu jagen. Da lagen zum Beispiel allein zwei Millionen britische Patronen. zweitausend Kisten Munition zu je tausend Schuß. Und dazu passend noch andere feine Sachen.«
»Ich habe in Acre gekämpft«, sagte Eliav. »Und wie war es?« fragte Culinnane.
»Hast du schon einmal etwas über den Fall von Acre im Jahre 1291 gelesen?« fragte Tabari. »Damals waren die Mamelucken die Angreifer, und die Christen hatten sich zu verteidigen. Aber bei den Christen gab es etwa zehn verschiedene Parteien: Venezianer, Genuesen, Templer, Johanniter. Dieses Mal griffen die Juden an, und die Araber mußten sich wehren. Aber wir waren in viertausend Parteien aufgesplittert.«
»Viertausend?« fragte Cullinane.
»Ja. Ich bin der einzige General der Weltgeschichte, der viertausend Ein-Mann-Armeen geführt hat. Araber aus dem Irak waren zu uns gestoßen, um die Endlösung mitzumachen. Araber aus dem Libanon hatten wir, die eigens gekommen waren, um sofort nach unserem Sieg ihre Läden zu eröffnen. Wir hatten ein paar Ägypter, ein paar Jordanier, eine Menge Syrer, etliche Araber. Ich hatte falastinische Araber aus Jerusalem, die kein Wort mit den Arabern aus Haifa sprachen, und ich hatte etwa dreitausend blutdürstige Tiger, deren einziger Ehrgeiz darin bestand, jüdische Läden zu plündern. Sie ließen die anderen Araber gegen die Juden kämpfen. Sie wollten nichts als plündern.«
»War es wirklich so schlimm?« fragte Cullinane.
»Noch schlimmer. Denn im Erdgeschoß der Karawanserei hauste ein hagerer, gräßlicher, unberechenbarer Araber, dessen Onkel mit dem Großmufti gut bekannt war. Das allein verlieh ihm eine merkwürdige Macht, sogar über mich. Er hatte den Schlüssel zu den Munitionskammern in den Gewölben der Kreuzfahrer, und er weigerte sich, mir auch nur eine einzige Patrone ohne Genehmigung seines Onkels auszuhändigen. Dieser Onkel wiederum unternahm nichts, ohne sich der Zustimmung des Großmufti von Jerusalem zu versichern. Es war zum Rasendwerden. Wenn ich um mehr Munition bettelte, für einen Ausfall, für zweihundert Mann, er weigerte sich, Munition auszugeben. Eines Tages dachte ich mir: Jetzt schieße ich diesen Hund über den Haufen und nehme mir seinen Schlüssel. Er muß wohl meine Gedanken erraten haben, denn er warnte mich: >Denken Sie nur nicht, Sie können an die Munition heran, wenn Sie mich erschießen. Weil ich nämlich den Schlüssel versteckt habe.<«
»Was ist aus ihm geworden?«
»Als die Juden gegen die Stadt vorrückten und es so aussah, als ob nun der Angriff begann, sprang er in ein Segelboot und floh nach Beirut.«
»Und der Schlüssel?«
»Den hat er mitgenommen.«
Der arabische Vorstoß am Nachmittag des sechsten Mai hätte für die Juden das Ende bedeutet, wenn die Araber im Anschluß daran auf den Einfall gekommen wären, die Häuser systematisch abzusuchen. Aber aus irgendeinem Grund, den Gottesmann nicht zu begreifen vermochte, brachen die Araber bei Sonnenuntergang ihren Angriff ab und ließen so den Juden Zeit, sich in neuen Stellungen festzusetzen. Dennoch war es klar ersichtlich, daß der Widerstand nicht mehr lange durchgehalten werden konnte. MemMem Bar-El war erschöpft, Gottesmann dem Zusammenbruch nahe. Ilana fragte sich, ob ihr Mann auch nur noch einen Tag durchstehen könne. Von dem kleinen Stab war einzig und allein noch Nissim Bagdadi in guter Verfassung. Er zehrte offenbar von seinen Fettreserven.
An diesem Abend
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