Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Quelle

Titel: Die Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A Michener
Vom Netzwerk:
entgegen, schwankte und verschwand in der entgegengesetzten Richtung. Es war unheimlich, wie er drüben vollkommen lautlos hinabfiel. Und nun schlug Tabari nicht mehr vorsichtig nach Archäologenart mit der Spitze des Pickels zu, sondern rammte dessen Kopf gegen die Wand. Vier kräftige Stöße - und er stand plötzlich vor einem klaffenden Loch, das ins Nichts führte.
    Seine Lippen waren trocken. Sein Atem ging schwer. Die Lampe in der Hand, schob er sich mit dem Oberkörper durch die Öffnung. Anfangs konnte er nichts erkennen, denn die heruntergefallenen Steinbrocken hatten den Staub von Jahrhunderten aufgewirbelt. Als der sich allmählich legte, sah Tabari, daß er mit seiner Vermutung recht gehabt hatte: Er war auf einen langen Stollen gestoßen, der durch das Kalkgestein gebrochen war. Nach links und nach rechts verlief dieser teilweise verschüttete Stollen; seine schön gewölbte Decke ließ noch die sorgfältige Arbeit erkennen, die im Jahre 963 v. Chr. Tabaris Ahn Jabaal, der Wiedehopf, vollendet hatte; viel später, im Jahre 1105 n. Chr. war der Stollen von einem anderen seiner Vorfahren, von Schalik ibn Tewfik, genannt Lukas, wieder freigelegt worden. Daß die herabfallenden Steine keinen Laut erzeugt hatten, lag daran, daß sie in weichen Staub gefallen waren, der sich seit jenem Tag im April 1291 n. Chr. im Stollen abgelagert hatte, an dem Graf Volkmar von den Mamelucken getötet und die Kreuzritterburg zerstört wurde.
    Rechts oder links? In welcher Richtung befand sich der Brunnen? Tabari, noch halb in der Öffnung stehend, versuchte geduldig, sich zu orientieren. Er hatte ein so feines Gespür für diese Erde, daß er sogar hier unten, tief in ihrem Innern, die Richtung fand: Rechts mußte der Brunnen liegen, nördlich der Stelle, an der er auf diesen Stollen gestoßen war. Tabari ließ sich durch die Öffnung gleiten, setzte vorsichtig seine Füße auf, damit der Staub nicht allzu sehr aufgerührt wurde und ging wie in einem Traum vorwärts durch das Dunkel. Seine Lampe brachte Helligkeit an einen Ort, an dem sieben Jahrhunderte hindurch kein Licht geschienen hatte.
    Lautlos war während dieser Zeit der Staub eingedrungen, dick hatte er sich abgelagert. Jetzt durch eines Menschen Fuß angerührt, erhob er sich zu neuem lautlosen Leben, um sich dann wieder zu senken. Wie Sonnenstäubchen spielte es um Tabaris Knöchel. Schließlich gelangte der Araber an einen schweigenden Ort, wo alles zu Ende war, der Staub und das leise Geräusch seiner Schritte. Als er hinabschaute in die Dunkelheit, vermochte er nicht zu schätzen, wie tief unter ihm sich das Wasser befand. Er klopfte ein Stück Stein aus der Decke und ließ es hineinfallen. Nach einer Weile hörte er Wasser aufspritzen. Der Brunnen der Familie Ur war gefunden, die Quelle süßen Wassers, von der alles hier seinen Ausgang genommen hatte.
    Während der nächsten Tage versuchten Tabari und Eliav mehrmals, Cullinane in Jerusalem von dieser überwältigenden Entdeckung in Kenntnis zu setzen. Aber er war telefonisch nicht zu erreichen. Deshalb bauten sie auf eigene Verantwortung eine Beleuchtung ein, die es ihnen ermöglichte, am Brunnen zu arbeiten. Am Brunnenrand fanden sie nur Scherben aus der Kreuzfahrerzeit, Reste von Wasserkrügen, die unachtsame Christenfrauen vor siebenhundert Jahren fallengelassen hatten. Aber dann entdeckte Tabari zufällig in der Wand etwas oberhalb seiner Augenhöhe eine Verfärbung. Denen, die früher einmal hier gearbeitet oder Wasser geholt hatten, war sie wohl nicht aufgefallen, denn sie waren Kanaaniter und Moabiter gewesen, Jüdinnen wie Gomer oder Frauen von Kreuzfahrern, aber keine Archäologen. Einer Eingebung folgend, untersuchte Tabari die dunkle Stelle genau
    - und stieß so auf den ursprünglichen Horizont der Quelle! Er fand einige angekohlte Steine, auf denen Männer um eines der ersten willentlich angezündeten Feuer auf dieser Erde gesessen hatten. An der Quelle. Und Eliav entdeckte dann zwischen diesen Steinen den Gegenstand, der dem Tell Makor seine Bedeutung für die Prähistorie verleihen sollte: einen Feuerstein von der Größe einer flachen Hand, ganz offensichtlich zugeschlagen, um als Werkzeug und Waffe zu dienen, an den Seiten leicht gewölbt und nach der Spitze hin geschärft. Es war ein Faustkeil, über zweihunderttausend Jahre alt, aus jener Morgendämmerung der Urgeschichte, da der frühe Mensch nur
    Steine hatte für seine Jagd auf das Wild und das Fleisch der Beute mit Faustkeilen zerwirkt

Weitere Kostenlose Bücher