Die Quelle
vollkommenes Abbild der Göttin Astarte. Kein Mann konnte ihre aufreizende Gestalt ansehen, ohne in ihr die höchste Darstellung der Fruchtbarkeit zu erkennen. Sinn ihres Daseins war es, geliebt, genommen und fruchtbar gemacht zu werden, auf daß sie ihre Hoheit fortpflanzen und die Erde segnen könne. Mit ungläubigen Augen starrte Urbaal auf die Priesterin, die sich nackt der Menge darbot. Sie war viel schöner, viel begehrenswerter, als er sie sich vorgestellt hatte. Die schlauen Priester hatten recht behalten: Je weniger sie ihre neue Sklavin zeigten, um so sicherer mußte sich die große Erregung einstellen, die jetzt wie eine Woge durch die Menge lief.
»Dies ist Libamah«, verkündete der Priester, »Dienerin der Astarte. Bald, im Erntemonat, wird sie dem Mann gehören, der dieses Jahr den besten Ertrag aufzuweisen hat, sei es an Gerste oder Oliven, an Vieh oder jeglicher anderen Bodenfrucht.«
»Laß mich der Mann sein«, flüsterte Urbaal leise. Er ballte die Fäuste und betete zu allen seinen Astarten: »Laßt mich der Mann sein.« Timna aber, seine so klar denkende Frau, sah das Unfaßliche - diesen Mann, der doch eben erst seinen Sohn verloren hatte und nun schon, so kurz danach, so lüstern sein konnte auf eine Sklavin - und dachte nur eines: Er muß den Verstand verloren haben. Sie sah seine Lippen die Worte des Gebets formen: »Laßt mich der Mann sein«, und sie war tief betrübt für ihn, dessen Empfinden so entartet war.
Der Priester hob segnend seine Arme über das nackte Mädchen, ließ sie dann langsam sinken. Jetzt wieder die Stimmen der Sänger, gedämpft. Und zu diesem Gesang begann die hochgewachsene Priesterin zu tanzen. Ruhig erst, mit gesenktem Kopf, bewegte sie Arme und Knie in verführerischem Rhythmus und ließ dann, als die Trommeln lauter wurden, ihre Bewegungen schneller werden. Die Füße auseinandergestellt, wand sie sich herausfordernd, bis die Männer sich vor Gier auf die Lippen bissen. Urbaal war hingerissen wie ein Knabe, der zum erstenmal eine nackte Frau sieht. Aber diese da war ihm mehr: Stets den Blick gesenkt, tanzte sie wie eine ferne Göttin, fern selbst dem, was hier geschah. Und die Leidenschaftlichkeit ihres jungfräulichen Leibes schien ihm die ganze Erde zu umfassen - könnte er doch jetzt sofort die Stufen hinaufstürzen und sie besitzen, ihr die Augen öffnen und sie zu sich, in seine Welt herabholen! »Im Erntemonat«, rief der Priester in die Menge, »wird sie einem von euch gehören.« Rasch verhüllten seine Gehilfen ihren Körper mit den verstreuten Gewändern und brachten sie fort. Ein Seufzen lief durch die Menge. Selbst die Frauen seufzten, denn sie hatten mehr zu sehen gehofft. Aber der Tempelvorhof blieb nicht lange leer: Vier Priesterinnen wurden herbeigeführt - vielen Männern waren diese vier bereits bekannt - und ebenfalls nackt ausgezogen, weit weniger einladend anzusehen als Libamah, doch immerhin auch sie Abbilder der Fruchtbarkeitsgöttin. Jetzt riefen die Priester sofort vier Bürger auf, den Priesterinnen zu folgen. Die vier Männer - ob sie darüber glücklich oder unglücklich waren, bleibe dahingestellt - ließen ihre Frauen stehen und sprangen die Stufen empor. Jeder packte die ihm zugewiesene Frau und führte sie zu den Gemächern, die für diesen Brauch bestimmt waren.
»Durch sie wird das Leben neu erstehen«, sangen die Stimmen, von leisem Trommelwirbel begleitet, bis nach einiger Zeit die Männer zurückkamen. In den Tagen nach der Verkündigung, daß Libamah dem Mann feierlich übergeben werde, der die beste Ernte erzielt habe, verbrachte Urbaal die meiste Zeit arbeitend an der Ölpresse. Oft war er schon zur Stelle, ehe noch der Vorarbeiter aus der Schlafhütte herabgestiegen war. Doch bevor er mit dem Mann sprach oder den Ertrag des vergangenen Tages ansah, ging Urbaal zum Felsen, in den die drei Gruben gehauen waren, und brachte dort dem Baal der Ölpresse - einem Steinbuckel - seine Huldigung dar, dankte ihm für das gestern Vollbrachte und bat um Hilfe am heutigen Tag. Dann betete er zum Baal der Gruben und zum Baal der Krüge, in denen das Öl gespeichert wurde. Darauf erst beriet er sich mit seinem Vorarbeiter und begab sich schließlich zum Baal des Haines selbst und zu einem kleinen Steinpfosten, dem Gott der Straße, über die seine Krüge befördert wurden. Mit jedem dieser Baalim sprach er wie mit einem lebendigen Wesen, denn Urbaal lebte in einer Welt mit zahllosen Göttern.
Daß es diese Baalim gab, daß er sich
Weitere Kostenlose Bücher