Die Quelle
Ölpresse gar waren leicht zufriedenzustellen: mit einem Kuß, einem über ihre Säule gehängten Blumenkranz, mit einem gebeugten Knie.
Doch als der Kult des Gottes Melak von den Küstenstädten im Norden her eingeführt wurde, änderte sich das. Die Bürger Makors hatten den neuen Kult geradezu begierig angenommen, teils weil der Gott ihnen so schwere Forderungen auferlegte und damit gewissermaßen seine Macht bewies, teils weil sie ihre alten, so wenig fordernden Götter aus eben diesem Grund ein wenig mißachten gelernt hatten. Melak und seine düsteren Riten waren der Stadt keineswegs aufgezwungen worden; vielmehr hatten die Bewohner ihn sich selbst geholt, als den, der ihnen in ihrer Not beistehen sollte, und je anspruchsvoller er sich zeigte, desto mehr verehrten sie ihn. Nichts war so überzeugend gewesen wie das, was der Priester nach der Zerstörung der Stadt gesagt hatte: »Ihr habt euch damit begnügt, Melak schlechte Söhne zu geben. Dafür gab Er euch schlechten Schutz.« Und nicht minder einleuchtend war des Gottes immer größerer Hunger gewesen, den man anfangs mit dem Blut einer Taube gestillt hatte, dann mit dem Verbrennen eines toten Schafs und nun mit dem Opfer lebender Kinder. Denn jedesmal war er mächtiger geworden und dem Volk, das er tyrannisierte, nur um so lieber. Was er demnächst als Opfer heischen würde, konnte niemand vorhersagen, am allerwenigsten die Priester: Nicht sie waren es, die dem Volk die neue Forderung des Gottes aufzwangen - es war das Volk selbst, das darauf bestand: das Volk, das gewissermaßen die Götter und ihren Kult so wollte, wie es sie zu begreifen vermochte.
Überdies war ein Kult, der Menschenopfer verlangte, nicht schon an sich scheußlich, und er führte auch nicht zu allgemeiner Verrohung. Gewiß - Menschenleben, die sonst auf andere Weise hätten nützlich sein können, gingen verloren. Aber mit dem Tod des Opfers war alles vorbei, und es wurden weder übermäßig viele Menschenleben vernichtet, noch vergiftete das Todesritual das Denken und Fühlen der Menschen. Im Gegenteil: Hatte nicht das Bild des Vaters, der seinen erstgeborenen Sohn als das Kostbarste, was er hingeben konnte, für den Schutz der Gemeinschaft opferte, etwas Erhabenes? Und wenige Jahrhunderte später sollte, gar nicht weit von Makor entfernt, eine der großen Weltreligionen auf der Vergeistigung eines solchen Opfers als des eigentlichen, höchsten Glaubensaktes begründet werden. In Makor brachte nicht der Tod Verderben, sondern das Leben. Mit der Göttin Astarte nämlich verhielt es sich ganz anders. Zunächst war sie eine viel ältere Gottheit als der feurige Melak, vielleicht sogar älter als El. Denn schon der erste Bauer, der bewußt Weizen gesät hatte, war geradezu wie ein Sklave an seine Vorstellung von der Fruchtbarkeit gefesselt gewesen: Ohne den Beistand einer die Erde fruchtbar machenden Gottheit fühlte er sich machtlos. Nicht was er tat, sicherte das Gedeihen, sondern was der Gottheit beliebte. Die Menschen bedurften keines langen Nachdenkens, um davon überzeugt zu sein, daß die in jeder Fruchtbarkeit waltende Macht weiblich sein müsse. Noch die roheste Darstellung der weiblichen Form ließ sich als Symbol der Fruchtbarkeit deuten: Ihre Füße steckten im Erdreich, ihre Beine trugen das Gefäß, in das die Saat eingebracht werden mußte, ihr schwellender Leib gemahnte an das Wachstum in der dunklen Erde, ihre Brüste gaben die Regen, welche die
Felder nährten, ihr helles Lächeln war die Sonne, welche die Welt erwärmte, ihr wehendes Haar der kühle Wind, der das Land vor dem Ausdörren bewahrte. Sobald die Menschen regelmäßig Ackerbau betrieben, mußte es unausweichlich zum Kult einer solchen Göttin kommen. Grundsätzlich ein friedfertiger Glaube, der auf tiefster menschlicher Erfahrung beruhte: Erneuerung des Lebens aus dem Geheimnis des Geschlechtlichen, war die Vorstellung eines Zusammenwirkens von Mensch und Göttin mit dem Ziel, die Welt zu bevölkern und zu ernähren, eine der bemerkenswertesten geistigen Entdeckungen, sowohl veredelnd wie schöpferisch - was nur von wenigen religiösen Vorstellungen gesagt werden kann.
Doch aus dieser Vorstellung entstand eine Spirale, die mit größerer Geschwindigkeit zu gefährlicheren Auswirkungen gelangte als die, welche sich aus dem Kult des Todesgottes Melak ergab. Die Huldigung, die Astarte forderte, war zunächst so überzeugend und zugleich so schlicht, daß alle mit Freuden daran teilnahmen. Sobald eine solche
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