Die Quelle
Göttin die Fruchtbarkeit einer Stadt verbürgte, wurden bestimmte Riten unerläßlich: Blumen, von Blütenstaub überfließend, wurden ihr dargebracht, weiße Tauben, die man dann fliegen ließ, abgestillte Lämmer, denen man die Freiheit schenkte. Schöne Frauen, die sich vergeblich Kinder wünschten, kamen zu ihr und baten sie um Hilfe; Mädchen, die vor der Vermählung standen, tanzten vor ihr. Die Feste der Göttin waren besonders anziehend, weil die ansehnlichsten Bürger der Stadt und die stämmigsten Bauern eine führende Rolle spielten. Ein Zauber der Schönheit lag um die Göttin: Für sie gab es nur die größten Weintrauben, die goldenste Gerste, und die Trommeln, die ihr zu Ehren geschlagen wurden, klangen nicht kriegerisch. Was sich aus dem Kult der Astarte entwickelte, wurde eine Abfolge dessen, was dem Menschen als das Begehrenswerteste erschien
- allerdings vermochte jeder Einsichtige zu erkennen, wo dies enden mußte: Nachdem Makor sich einmal der
Fruchtbarkeitsgöttin ergeben hatte, konnten die Riten folgerichtig nur noch in einer einzigen Weise begangen werden, und schließlich mußte es dazu kommen, daß die Bürger darauf bestanden, dies habe in aller Öffentlichkeit zu geschehen. Die an den Festen Beteiligten, ob es die Priester waren, die Mädchen oder die Männer, hatten die sittenverderbenden Riten nicht gefordert - vom Volk waren sie verlangt worden. Und wie unausweichlich diese Spirale zum Unheil hinführte, sollte sich am Bauern Urbaal beweisen, der eben noch seinen Erstgeborenen dem Feuer überantwortet hatte und in jeder nicht von diesem Fruchtbarkeitskult besessenen Gesellschaft jetzt so vom Kummer erdrückt gewesen wäre, wie sein Weib es war. In Makor jedoch wechselte Urbaal mit Leichtigkeit, ja beinahe freudig vom Tod zum Leben hinüber. Er wartete auf das, was nun kommen sollte. In steigender Erregung lauschte er den frohen Trommelschlägen, die sich mit dem Geschmetter der Hörner zu einem lebhaften Crescendo steigerten. Jetzt trat ein Priester aus dem Tempel und gebot der Musik Einhalt, indem er die Arme hob und rief: »Auf den Tod folgt das Leben. Auf das Leid die Freude.«
Eine Schar von Sängern, darunter alte Männer ebenso wie junge Mädchen, stimmte ein heiteres Lied über die Jahreszeiten an, über das Wachsen und die Fruchtbarkeit der Tiere, die in den Feldern wohnen. Die Worte des Liedes gaben die uralten Gedanken des Fruchtbarkeitskultes wieder: Der Mensch vermag nur zu leben, weil alles, was die Erde trägt, sich vermehrt. Und darum ist alles, was das Wachstum fördert, gut.
Der Priester richtete sich nun unmittelbar an die Eltern, deren Söhne zum Wohl der Stadt gestorben waren: »Nicht darauf kommt es an, in welchem Alter ein Mann stirbt, um das Gemeinwesen zu verteidigen. Das Kind von wenigen Monaten« - und hierbei blickte er Urbaal und dessen Weib an
- »ist ein ebenso wackerer Held wie der Heerführer von vierzig Jahren. Die Männer werden dazu geboren, ruhmreich zu sterben, und die als Kinder sterben, erreichen Größe früher als wir, die wir länger leben. Ihretwegen trauern wir nicht. Sie haben die Bestimmung der Männer erfüllt, und ihre Mütter sind stolz.« Es war eine begeisternde Rede, und viele wurden durch sie begeistert - nicht jedoch die eigensinnige Timna, die unbewußt spürte, daß Böses geschehen war. Ihr sechs Monate alter Sohn hatte sein Leben erst vor sich gehabt; es ihm für die Stadt zu nehmen, war und blieb verwerflich. »Doch in der Stunde des Todes, des Todes eines Helden«, sagte der Priester, »ist es Pflicht, sich des Lebens zu erinnern. Denen, deren Kinder zum Schutz der Stadt starben, bietet die Göttin der Fruchtbarkeit und des Lebens, Astarte, neues Leben, neue Kinder, neue Felder und neue Tiere, die in den Feldern weiden. Jetzt, in der Stunde des Todes, wird das Leben wiedergeboren.« Die Trommeln dröhnten und die Stimmen der Sänger jubelten, als zwei Priester eine weißgekleidete Priesterin aus dem Innern des Tempels führten. Auf diesen Augenblick hatte Urbaal gewartet, denn die da kam, war ja die Sklavin, die große, die strahlend schöne. Sie blieb auf der obersten Stufe stehen, die Hände gefaltet, die Augen gesenkt, während der Priester mit einem Zeichen die Musikanten schweigen hieß. Dann nahmen Priesterhände ihr die Gewänder fort. Eines nach dem anderen ließen sie gleich Blütenblättern fallen, bis sie hüllenlos stand, umrauscht vom Beifall der ganzen Stadt.
Sie war ein herrliches Wesen, ein
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