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Die Quelle

Titel: Die Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A Michener
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worden. Unter ihr loderte bereits ein gewaltiges Feuer. Auf der Plattform aber stand ein steinerner Gott von ungewöhnlicher Gestalt: Seine beiden Arme waren dicht nebeneinander schräg nach oben gestreckt; oberhalb der Stelle, wo sie in den Rumpf übergingen, klaffte ein riesiger Mund: Was auf die Arme gelegt wurde, mußte auf ihnen hinabrollen und ins Feuer stürzen, das im Innern der Göttergestalt brannte. Dies war der Gott Melak, Makors Beschützer.
    Sklaven schichteten neue Reisigbündel unter die Statue. Als die Flammen aus dem Mund des Gottes züngelten, packten die Priester den ersten der acht Knaben - ein molliges Kindchen von neun Monaten - und hoben ihn hoch in die Luft. Beschwörungen murmelnd, näherten sie sich den Armen, schleuderten das Kind hinauf, so daß es über die steinernen Arme rutschte und in die Flammen fiel. Als der Gott den Knaben mit einem feurigen Rülpsen empfing, ertönte ein schwacher Schrei und dann das schmerzliche Klagen einer aufbegehrenden Mutter. Urbaal blickte sich rasch um: Eines der Weiber Amaleks war es gewesen, und die Priester hatten diese Verletzung der feierlichen Handlung wohl bemerkt. Er lächelte mit bitterer Befriedigung. Sie werden sich erinnern, daß Amalek sein Weib nicht im Zaum halten konnte. Dieses Jahr werden sie mich erwählen, dachte Urbaal. Um nicht über die eigene Familie die gleiche Schande kommen zu lassen, die ihm die Ungnade der Priester bringen und seinen Vorteil zunichte machen mußte, den Amaleks Mißgeschick für ihn bedeutete, griff er nach Timnas Arm und flüsterte: »Ruhig.« Doch erst wurden noch vier andere Knaben geopfert, ehe die Priester Timnas wimmernden Sohn emporhoben und über die Arme hinabstießen in den gierigen Feuerschlund. Ranziger Rauch wölkte sich aus dem roten Rachen. In Timnas Kehle stieg ein Schrei auf, aber Urbaal packte sie mit der freien Hand am Hals und wahrte so die Würde des Opfers. Er sah, daß die Priester ihn beobachtet und zustimmend gelächelt hatten. Stärker denn zuvor war er überzeugt, daß die Vorzeichen günstig seien, daß er zum Sieger des Jahres ernannt werde. Das letzte Kind war ein beinahe dreijähriger Knabe, alt genug zu begreifen, was vor sich ging. Seine Eltern hatten gehofft, daß die Jahre vorüber seien, in denen er ihnen genommen werden konnte - umsonst. Mit schreckgeweiteten Augen wich das Kind vor den Priestern zurück, und als sie ihn dem Gott entgegenhoben, schrie er und versuchte sich an den steinernen Fingern festzuklammern. Aber die Priester rissen seine Hände los und stießen ihn kopfüber in die Flammen. Kaum war der Knabe verschwunden, kaum sein Klagen im glühenden Rauch erstickt, als sich auch schon das Bild des Geschehens auf dem Tempelplatz völlig wandelte. Der Gott Melak war vergessen, seine Flammen durften ersterben. Die Kinderopfer waren vergessen. Jetzt begannen die Priester mit anderen, nicht minder wichtigen Kulthandlungen.
    Wieder dröhnten die Trommeln, nun in lebhafteren Rhythmen, wieder schmetterten die Hörner. In der Gewißheit, daß sein neuer Gott es beschützen werde, ließ das Volk von Makor ihn neben den Monolithen weiterrauchen und sammelte sich vor den Stufen des Tempels. Die bisher vom Schrecken Beherrschten packte nun eine andere Erregung. Aber selbst die schmerzerstarrten Mütter der acht Knaben wurden vor den Tempel geführt, denn sie, die sich sehnten, den Ort des Grauens zu fliehen und schweigend zu trauern, mußten als Schutzherrinnen, die dem Gotte durch ihre Erstgeborenen wohlgefällig gewesen waren, auf Ehrenplätzen dableiben. Sie durften weder ihrem Kummer Ausdruck geben noch beiseite blicken, so lautete das Gesetz.
    Wenn ein Gemeinwesen wie Makor sich einem Gott des Todes wie Melak und einer Göttin des Lebens wie Astarte weihte, mußte es ganz folgerichtig zu einer Entwicklung kommen, in der die Gläubigen ohne ihr Wissen und Wollen gleichsam in die Bewegung zweier Spiralen geraten, die sich zwangsläufig zu immer seltsamer werdenden Kulten emporoder - je nach Gesichtspunkt - hinabschraubten. Während der vielen Jahrhunderte, in denen man in Makor nur den ältesten Monolithen El verehrt hatte, waren die Priester zufrieden gewesen, wenn man ihrem Gott Trankopfer aus Öl oder einfache Speiseopfer darbrachte, denn es entsprach dem Wesen Els, nur bescheidene Ehren zu verlangen. Und als die drei weiteren Monolithen hinzugekommen waren, hatten auch sie keine ungewöhnlichen Forderungen gestellt. Und die kleinen Baalim des Olivenhains und der

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