Die Quelle
müßig herumstand in der Hoffnung, Libamah zu sehen. Umsonst. Aber kurz vor der Dämmerung kam Heth der Hethiter, der eben seinen Laden geschlossen hatte, zu Urbaal. Schlau, wie der Händler war, hatte er unschwer erraten, warum Urbaal hier herumstrich. »Vergiß sie, Urbaal«, sagte er. »In den nächsten Monaten werden wir alle unseren Spaß mit ihr haben.«
Heths Worte trafen den Bauern schwer. Er hätte Heth geschlagen, wäre er nicht gerade noch einsichtig genug gewesen, zu erkennen, daß der Hethiter die Wahrheit sprach. Nachdem Libamah einmal die Ernte geheiligt hatte, war es mit ihrer Einzigartigkeit vorbei: Bald wird sie auch an weniger hohen Festen dargeboten werden, an Neujahr schon, zu Beginn der Pflanzzeit, und vom nächsten Herbst an kann man sie an den Monatsfesten haben, denn dann wird beim Erntedankfest ein anderes Mädchen ihren Platz, den ersten Platz, einnehmen. »In einem Jahr kannst du sie jederzeit kriegen, wenn dir danach ist«, sagte Heth. »Brauchst bloß am Tempeltor zu klopfen.« Das anzügliche Lachen des Hethiters erregte Urbaal erneut. Inzwischen war es dunkel geworden. Er verließ den heiligen Platz, ging aber nicht heim, sondern durch ein schmales Gäßchen zu Amaleks Haus. Dort blieb er im Schatten stehen, fieberhaft überlegend, wo seine geraubten Göttinnen wohl versteckt seien. Die Vorstellung peinigte ihn, Amalek könne die Geraubten gegen ihn verwenden. Er erwog verschiedene Möglichkeiten, ins Haus des Feindes einzudringen und sich seine Göttinnen wieder anzueignen. Aber alle Pläne mußte er als im Augenblick nicht ausführbar verwerfen; so ging er schließlich nach Hause, niedergedrückt und in wildem Verlangen nach Libamah. Mehr als eine Woche verstrich, ehe er sie wiedersah. Die Wirkung war mächtiger als je zuvor. In stattlicher Anmut schritt sie über die Tempelstufen. Als sie ihn bei den Monolithen stehen und sie verliebt anstarren sah, warf sie ihm einen flüchtigen Blick zu, der ihn wie die kupferne Spitze eines Speeres traf. Ihm war, als habe sie ihm ein Zeichen gegeben: »Wie willst du mich befreien?« und wollte rufen: »Ich hole dich, Libamah« -konnte jedoch nichts weiter tun, als ihr nachstarren.
In den nächsten Tagen wurde es schnell immer schlimmer mit Urbaal. Er kümmerte sich um nichts, er vergaß, daß die Ölbäume jetzt dringend seiner Pflege bedurften, er ging nicht mehr zur Pflanzung hinab. In den abgestorbenen Bäumen suchte er nicht nach Herbsthonig, und seine Weizenfelder bei den Steineichen konnten warten.
Nur noch zweierlei bewegte ihn: das Unrecht, das Amalek ihm angetan hatte, und seine Sehnsucht nach der Sklavin - und eines verschmolz in seinen Gedanken mit dem andern. In einer mondlosen Nacht band er sich ein dunkles Tuch über das Gesicht und schlich aus dem Haus, in der Absicht, Amalek zu schaden - wie, das wußte er nicht. Die ganze Nacht über stand er auf der Straße und wartete auf einen Einfall - vergebens. Erst als die Morgendämmerung kam, stopfte er das Tuch in sein Hemd und ging zum Tempel, um zu erkunden, wie er durch die Tore gelangen und Libamah befreien könne. Aber wiederum sah er keine Möglichkeit.
Ein kleineres Fest zu Ehren des Baals der Gewitter fand statt. Libamah wurde herausgeführt und tanzte, wie man es ihr beigebracht hatte, mit niedergeschlagenen Augen. Zweimal blickte sie zufällig ungefähr dorthin, wo Urbaal stand. Abermals glaubte der, sie gebe ihm ein Zeichen. Als sie ihren sinnenerregenden Tanz beendet hatte - Urbaal zitterte vor Verlangen nach ihr -, zog sie sich zurück. Statt ihrer winkten die Priester die vier älteren Tempeldirnen herbei und bestimmten Urbaal für eine von ihnen. Angewidert wollte er sich weigern, aber Timna, die merkte, was vorging, flüsterte ihm zu: »Wenn du es ablehnst, töten sie dich.« Deshalb tat er, als folge er bereitwillig der Aufforderung. Doch als er mit der Priesterin allein war, vermochte er nichts mit ihr anzufangen, nicht einmal eine Frau in ihr zu sehen, die doch nackt vor ihm stand. Die enttäuschte Dirne berichtete über sein Versagen den Priestern, die argwöhnisch aufmerkten: Wie ganz anders hatte sich doch dieser Urbaal bei Libamah aufgeführt. Schlau, wie sie waren, kamen sie sehr schnell darauf, was in dem Bauern vorging. Immer weiter verrannte sich Urbaal in seinen Wahn, Amalek umbringen zu müssen: Mitten auf der Straße müßte er ihm einfach entgegentreten und ihm einen Speer durch die Brust jagen. Die Flucht danach? Er hatte keine Zeit, sich mit solchen
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