Die Quelle
Oberschenkel war zerfetzt.
Verwirrt richtete er den Blick auf Duvall, der ihn breit grinsend beobachtete. »Haben Sie meine Frau ...?«
»Was?«, erwiderte Duvall giftig. »Wäre das der Grund, um zu schießen? Reicht das hier nicht?« Er lachte seltsam meckernd. »Kein schöner Anblick, nicht wahr?«
Die Häme des Entführers verhallte wirkungslos. Das Vakuum in Benns Kopf enthielt nichts, worauf die Häme hätte treffen können.
»So reagieren also Helden, die ihre Frau retten wollen.«
»Warum tun Sie das?«, fragte Benn mit matter Stimme.
»Warum?« Duvall lachte wild auf. »Ich will ein wenig Rache. Ihr beide büßt für die Sünden der anderen. So wie ich für die Sünden der anderen büße.«
»Das ist doch verrückt.«
»Natürlich ist das verrückt. Die ganze Welt ist verrückt. Wir beide suhlen uns im Dreck, und andere ernten die Früchte.«
»Dann müssen wir das ändern.«
»Ich habe mein ganzes Leben den Kopf für andere hingehalten, geglaubt, es würde belohnt werden. Aber die bittere Erkenntnis ist eine andere. Es gibt keine Gerechtigkeit.«
»Und deshalb muss meine Frau jetzt leiden ...«
»Das Schicksal hat sie dazu ausersehen.«
»Das Schicksal?«
»Das ist doch egal. Vielleicht waren Sie auch nur zur falschen Zeit am falschen Ort. Pech gehabt. Sie sind hier, ich bin hier - und Ihre Frau ist hier.«
Duvall zog an dem Seil in seiner Hand, und Francescas Arme wurden ein Stück nach oben gezogen.
Ein leises Keuchen quälte sich aus ihrem Körper.
»Francesca!«, schrie Benn und spürte dabei für einen Moment, wie sich das Vakuum in seinem Kopf mit Schrecken anfüllte.
Aber sein Ruf schien sie nicht zu erreichen. Ihr Kopf hing weiter bewegungslos auf der Brust, und das Vakuum in seinem Kopf verschluckte den Schrecken wie ein schwarzes Loch einen Sternenhaufen.
Er setzte mit seinem rechten Fuß zu einem Schritt an. Unwillkürlich. Trotz der Warnung.
»Nicht doch. Nicht weiter.« Duvall hob kaum die Stimme.
Benn zog den Fuß zurück, starrte auf seine stumme Frau.
»Sie hat einen Knebel im Mund. Sie kann nicht einmal um Hilfe flehen.«
Benn gewahrte den Stofffetzen hinter ihren wirr herunterhängenden Haaren.
»Wohin soll das führen?«, hörte sich Benn plötzlich wieder ganz ruhig sagen, als spreche da ein Fremder aus ihm. Immer noch irritierte ihn die Leere in seinem Kopf, die ihn so seltsam teilnahmslos machte.
»Zu der einen, unabänderlichen Konsequenz. Sie stirbt.«
»Dann sterben Sie auch.«
»Möglich. Wenn Sie das schaffen, sind Sie ein Killer wie ich.«
Benn registrierte den irren Ton in Duvalls Lachen.
Das war es, dachte er. Duvall war nicht mehr mit rationalen Gedanken beizukommen. Er sog seinen Antrieb aus einem tiefen Hass, der nur noch darauf ausgerichtet war, andere ins Unglück zu stürzen.
»Aber Sie werden nicht schießen!« Duvall lachte erneut auf, diesmal schrill und heftig. »Sie haben es bisher nicht gekonnt, und Sie können es auch jetzt nicht. Sie sind einer von den braven Menschen, die wohlbehütet in ihrem Bett schlafen, während andere für Ihren ruhigen Schlaf den Kopf hinhalten. Und was habe ich dafür bekommen? Ausgebootet haben sie mich. Wieder einmal. Dafür tanze ich mit dem Satan, der mich Nacht für Nacht mit qualvollen Bildern belohnt.«
Benn wunderte sich über den seltsamen Tonfall, mit dem Duvall die Worte formte. Sein Blick wanderte weg von seiner Frau, glitt über die Gestalt des Entführers. Am Oberschenkel lugte ein Flaschenhals aus einer auf die Hose genähten Tasche.
»Sie sind betrunken.«
Duvall schrie wild auf.
»Ich habe mein Medikament genommen, das mir seit Jahren hilft, die Nächte zu ertragen und den Bildern des Teufels zu entkommen.«
Duvalls Hand mit der Waffe zitterte. Sein Gesicht verzerrte sich vor unkontrollierter Wut, der Speichel trat als Blasen vor seinen Mund.
»Sagen Sie nicht noch einmal, dass ich betrunken bin, dann knalle ich Ihre Frau sofort ab. Haben Sie mich verstanden!«
Benn nickte und wartete, bis sich Duvall wieder beruhigt hatte. Dann trat er einen Schritt nach vorn.
»Bleib stehen!«, schrie Duvall und schwang den Pistolenlauf herum, bis er auf den Kopf von Francesca zeigte.
Benn hob die Waffe, richtete sie auf Duvall.
»Gehen Sie zur Seite, damit ich meiner Frau helfen kann. Sonst schieße ich!«, rief Benn.
»Dann schieß, wenn du kannst!«
Duvall riss den Waffenlauf von ihrem Kopf weg, hielt ihn vor sich auf den Boden gerichtet.
»Tue es! Deine Chance!« Duvall lachte aus vollem
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