Die Quelle
Johanna Grothe«, sagte Benn möglichst freundlich.
In der Haustür stand ein Mann mittleren Alters mit schütterem Haar, der ihn zunächst müde ansah und dann losblaffte.
Benn ließ den Wortschwall über sich ergehen und fragte dann erneut. Der Hausbesitzer tippte sich mehrmals mit dem Zeigefinger gegen die Stirn.
»Sind denn jetzt alle verrückt?«, hörte Benn den Mann fragen. »Die Weinbauern sind es ohnehin, weil sie um ihre Ernte fürchten. Ich habe Johanna seit dem frühen Morgen nicht gesehen, als sie zum Weingut aufgebrochen ist. Was wollen denn alle von ihr? Vor einer halben Stunde haben mich schon einmal Männer aus dem Bett geholt.«
Die Worte trafen Benn wie Hammerschläge. Und jeder Schlag trieb Wellens verdrängte Warnung mehr und mehr in den Mittelpunkt seiner Gedanken.
»Wir dürfen keine Zeit verlieren. Wir müssen weiter!«, sagte Benn. Es kam ihm unendlich lange vor, bis der Mann Wellens den Weg zum Weingut erklärt hatte.
»Könnten es tatsächlich Polizisten sein, wie er sagt? Aus dem Kommissariat in Avignon?«, fragte Benn, als sie endlich wieder im Wagen saßen und losfuhren. Benn dachte an den Polizisten im Krankenhaus. Die Freundin von Timo Moritz hatte mit ihm gesprochen, vielleicht war auch Timo Moritz mittlerweile befragt worden. »Wir haben eine Fahrt von fast sieben Stunden hinter uns.«
»Sie meinen, es war genug Zeit, trotz des Stromausfalls irgendwie Meldungen weiterzugeben?«
»Wenn in Deutschland die Kommunikation an manchen Stellen nicht ganz zusammengebrochen ist, dann wird das auch hier so sein«, sagte Benn.
»Mir fällt es schwer, daran zu glauben.« Wellens schüttelte den Kopf. »Ein zusammengeschlagener Mann in einem Pariser Krankenhaus wird kaum den Polizeiapparat aufscheuchen. Schon gar nicht in der jetzigen Situation. Da gibt es Wichtigeres.«
»Außer, es gibt einen Grund«, mischte sich Ela Stein ein.
»Und der wäre?«, fragte Wellens zurück. Auch Benn sah die Kommissarin erwartungsvoll an.
»Wir sind offiziell nicht hier. Die Franzosen würden schäumen, wenn sie wüssten, dass eine deutsche Polizistin ohne ihr Wissen hier Ermittlungen anstellt.«
»Und in Deutschland wäre das anders?« Schon Wellens spöttelnde Stimmlage verriet seine Meinung.
»Ich habe der Freundin von Timo Moritz gesagt, dass ich vom Bundeskriminalamt bin. Ich habe ihr meinen Ausweis gezeigt. Was ist, wenn sie das der Polizei gesagt hat?«
»Oh! Sie denken an einen kleinen diplomatischen Zwischenfall unter Freunden. Ja, die Missachtung der staatlichen Souveränität könnte ein Grund sein, dass die Jungs die Beine bewegen. Normalerweise. Aber in dieser Situation? Die haben alle selbst Familien, um die sie sich kümmern müssen. Erst dann kommen die anderen.«
»Das muss es sein«, sagte Wellens, der den Wagen mit ausgeschalteten Scheinwerfern am Rande des Dorfes stoppte. Das Gehöft war von Weinfeldern umgeben, und in der Zufahrt stand eine breite und mehr als mannshohe Skulptur in Form einer Weinrebe mit Trauben.
»Warum halten Sie auf der Straße? Fahren Sie doch weiter!«, rief Benn unruhig.
»Womit müssen wir rechnen?« Wellens legte eine Kunstpause ein. »Sind die anderen schon da? Sind es Polizisten, wie der Nachbar sagte? Stimmt das?«
»Woher soll ich das wissen?«, erwiderte Benn ungeduldig. »Fahren Sie auf den Hof, dann sehen wir weiter.«
»Manchmal zahlt sich Nachdenken aus.«
Benn stieß die Tür auf. »Zugegeben. Wir wissen nicht, was das für Leute sind, die vor uns nach Johanna Grothe gefragt haben. Aber wenn wir hier Wurzeln schlagen, werden wir es auch nicht erfahren. Wir sind uns doch einig, dass wir diese Frau finden müssen. Alles andere werden wir sehen.«
»Dennoch sollten wir vorsichtig sein.«
»Deshalb steige ich ja aus. Wir laufen.«
Sie eilten schweigend die Zufahrt hinauf, wandten sich dann nach rechts, umrundeten ein Gebäude und traten auf einen von weiteren Gebäuden umgebenen Platz, auf dem Fahrzeuge der unterschiedlichsten Typen abgestellt waren.
Benn fiel auf, dass sehr viele kleine Traktoren mit Anhängern darunter waren, mit denen offensichtlich die Trauben aus den Weinbergen transportiert wurden.
»Da.« Benn deutete auf eine weit geöffnete Tür in einem der Gebäude.
Ohne auf die anderen zu achten, sprintete Benn auf die Tür zu, aus der ein schwacher Lichtschein drang. Er trat in einen großen Raum mit Reihen hoher Edelstahltanks, die im Lichtstrahl seiner Taschenlampe silbrig matt glänzten.
In der einen Ecke standen
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