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Die Quelle der Seelen: Thriller (German Edition)

Die Quelle der Seelen: Thriller (German Edition)

Titel: Die Quelle der Seelen: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Doetsch
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hin zum Standardrepertoire von Perry Como. Bei den Innentemperaturen, die um die siebenunddreißig Grad lagen, und bei der Feuchtigkeit, die an ein Dampfbad erinnerte, strömte den Gästen der Schweiß nur so über den Körper, färbte die Kleidung unter den Achseln dunkel und brachte Locken zum Kräuseln. Das feuchte, erhitzte, rotwangige Erscheinungsbild der Menge kontrastierte mit dem des Musikers, der ein Lied nach dem anderen in die Tasten hämmerte und dabei knochentrocken blieb. Nicht ein Hauch von Transpiration auf seiner Kleidung oder an seinem Körper war zu sehen, sah man von ein paar Schweißtropfen auf der rechten Schläfe ab, die unter dem dichten Schopf seiner ungekämmten braunen Haare hingen.
    Michael St. Pierres Stimme war lieblich wie eine Blumenwiese oder rau wie Schotter – je nachdem, was vonnöten war, um den richtigen Ton zu treffen. Jeden Mittwochabend spielte und sang er, während die Frauen an der Bar seine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen oder ihn mit verführerischem Lächeln zu locken versuchten. Und Michael lächelte jeden Mittwoch höflich zurück, vermied dabei aber tunlichst, in die Falle namens Blickkontakt zu tappen, und sprach nie auch nur ein Wort, sah man von einem gelegentlichen Dankeschön ab.
    Ein Hauch von Schmerz lag in Michaels blauen Augen, als er »Wonderful Tonight« sang. Als der Song endete, erhob er sich am Klavier zu seiner vollen Länge von eins achtzig, griff nach seiner Lederjacke – seiner Lieblingsjacke, weich und abgetragen von den vielen Jahren, die er sie bereits besaß – und machte sich auf den Weg zur anderen Seite der Bar.
    »Sind wir heute Abend aber schwermütig«, meinte Paul und wandte den anderen Gästen kurz den Rücken zu, um seinem Freund einen Scotch auf Eis einzuschenken, wobei er besonders großzügig mit dem Eis war.
    »Ist ganz schön warm hier drin«, sagte Michael teils im Scherz, teils, um das Thema zu wechseln. Mit einem Finger wischte er das kühle Wasser von dem schwitzenden Glas und rieb es sich auf die Stirn.
    »Ich kann noch ungefähr fünfzehn Minuten mit Eis dienen, dann wird sich das hier ganz schnell leeren.« Paul schenkte wieder seinen Gästen nach, unterhielt sich aber weiterhin mit Michael. »Hast du Lust, rauf ins Loft zu gehen und dir das Ende des Yankee-Spiels anzuschauen? Oder lässt du dich endlich erweichen und nimmst eine von diesen Damen mit nach Hause?« Paul spielte damit auf die vielen Frauen an – es waren weit mehr als sonst –, die an der Bar Hof hielten.
    Eine der Ladys drehte sich bei Pauls Worten zu Michael um und schenkte ihm ein neckisches Lächeln. Ihr kurzes blondes Haar sah in Anbetracht der Witterung erstaunlich gut aus. Es gelang ihr, Michaels Aufmerksamkeit zu erregen, und sie pirschte sich an ihn heran. Mehrere männliche Gäste beobachteten, wie sie sich Michael näherte und gaben ihre Träume auf, an diesem Abend bei ihr zum Zuge zu kommen.
    »Sie spielen sehr schön«, sagte sie.
    »Danke«, erwiderte Michael und warf Paul dabei einen bösen »Herzlichen Dank«-Blick zu.
    »Sie sehen gar nicht aus wie ein Klavierspieler«, fuhr sie fort. So sah er tatsächlich nicht aus. Seine breiten Schultern und die groben Hände ähnelten eher denen eines Athleten.
    »Wie sehen Klavierspieler denn aus?«
    »Ich weiß nicht. Irgendwie anders«, erwiderte sie und nahm ihn von Kopf bis Fuß in Augenschein. »Nicht wie Sie.«
    Michael grinste und nahm einen Schluck von seinem Drink. »Tut mir leid.«
    »Wieso?« Sie legte den Kopf schief.
    Michael hob die linke Hand und wedelte mit seinem beringten Ringfinger.
    »Das macht nichts.« Sie zeigte ihm ihren Ehering, an dem ein Brillant funkelte. »Ich auch.«
    Michael musste lachen. »Trotzdem vielen Dank.«
    Einen kurzen Moment schaute sie ihn an, hielt ihn fest im Blick und lächelte.
    Dann drehte sie sich um und ging.
    Paul hatte beobachtet, was sich abgespielt hatte und kam zurück.
    »Warum tust du das?«, fragte er.
    »Was?«
    »Warum trägst du den?« Paul zeigte auf den Ehering und lächelte mitfühlend. »Meinst du nicht, dass es langsam Zeit wird, ihn abzunehmen? Du hast ihre Erinnerung in Ehren gehalten, Michael. Mary will, dass du glücklich bist, dass du jemanden findest und eine Familie gründest.«
    »Darüber möchte ich heute Abend nicht reden.«
    Paul beugte sich vor. »Ich weiß. Du willst nie darüber reden, wenn Jeannie oder ich davon anfangen.«
    »Ihr habt eine wunderbare Familie. Aber Familie ist nicht jedermanns Sache.«
    »Familie ist

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