Die Quelle der Seelen: Thriller (German Edition)
Hintergrund gestanden, verborgen unter einem breitkrempigen Hut und hinter einer Sonnenbrille. Sie hatte den Schmerz in seinen Augen gesehen, die Qual, in die sie diesen Mann gestürzt hatte, der ohnehin schon trauerte. Die Inszenierung ihres Ablebens hatte in jedem, der sie liebte, Leidensspuren hinterlassen, sah man von ihrem Komplizen ab. Als sie die Berge verlassen hatte und drei Monate lang heimlich durch Europa gestreift war, hatte sie gehofft, ihr Verschwinden sei dauerhaft und dass es sie aus dem Gedächtnis jener Leute vertreiben würde, die sie verfolgt hatten. Doch es hatte das Unvermeidliche nur hinausgezögert.
Ihr blieben noch wenige Meter bis zum Aufprall. Der Wagen stürzte senkrecht in die Tiefe, als sie ihre Handtasche packte und an sich zog, als könne sie auf diese Weise ihr Leben retten.
Der Kühler stieß in den See und verursachte eine Explosion, bei der das Wasser wie eine Kaskade in die Höhe schoss. Die Airbags explodierten und umhüllten die Frau mit einem Kokon aus Ballons, schützten ihren Körper gegen die Gewalt des Aufpralls. Der Sicherheitsgurt dämpfte zusätzlich den Aufschlag. Es war, als würden aus jeder Ecke Tausende von Steinen gegen ihren Körper geschleudert. Sie verlor die Orientierung, weil sie mit dem Kopf nach unten hing.
Die Scheinwerfer strahlten durch das glasklare Wasser bis auf den Grund, der dreißig Meter tiefer lag; dann erloschen sie. Für einen Moment schaukelte der Wagen auf und nieder, und die Geräusche des Aufpralls echoten in den umliegenden Hügeln, bis Stille einkehrte.
Als der Wagen schließlich ruhig dahintrieb, die vordere Hälfte schon halb unter Wasser, entwich die Luft durch Ritzen in den Rückfenstern, langsam zuerst, dann immer schneller. Das fauchende Geräusch war bis auf die andere Seite des Sees zu hören. Es klang wie der Schrei eines Kindes. Dann schien der Stausee mit unsichtbarer Hand nach dem Buick zu greifen und ihn in die Tiefe zu ziehen. Innerhalb von dreißig Sekunden fehlte jede Spur vom Fahrzeug, als hätte es nie existiert.
Dann beruhigte das Wasser sich wieder, und der See lag da mit einer Oberfläche, so glatt wie Glas.
5.
D ie Harley Davidson Softail jagte die dunkle, leere Straße entlang, und das Dröhnen ihres Motors zerriss die Stille der Nacht. Der Baldachin der Bäume verdeckte den Himmel. Nur gelegentlich blitzte das Mondlicht hindurch und brach sich auf dem polierten Chrom des Motorrads. Michaels Haar wehte ungehindert im Wind, denn seinen Helm hatte er auf dem Gepäckträger des Bikes befestigt. Er jagte das Motorrad auf hundertfünfzig Stundenkilometer hoch. Der Wind auf seinem Gesicht gab ihm ein Gefühl von Freiheit. Da war niemand, der etwas von ihm wollte, niemand, der ihn bemitleidete. Schließlich bog er auf die geschotterte Auffahrt vor seinem Haus ein, dass die Steinchen nur so flogen, und schaffte die fünfhundert Meter in zwanzig Sekunden.
Das Haus war abgelegen; hier war er allein, abgeschnitten von der Welt. Es war ein einstöckiges Gebäude mit hohen Decken, ein Mittelding zwischen einem modernen Bungalow und einer Ranch, das der Fantasie eines Architekten aus den Sechzigerjahren entsprungen sein könnte. Die Stein-und-Holz-Fassade verschmolz mit der Landschaft; abgesehen von der Garage auf der Hinterseite des Hauses, die Platz für drei Wagen bot, hatte er nicht viel verändert, seit er das Haus vor sechs Monaten gekauft hatte.
Michaels Sicherheitsunternehmen stand endlich auf einem soliden Fundament, das den drei Angestellten ein regelmäßiges Einkommen und einen festen Arbeitsplatz sicherte. Da die Zahl der luxuriösen Eigenheime und Geschäftsgebäude in der Gegend kontinuierlich stieg, bekamen sie regelmäßig neue Aufträge, Alarmanlagen zu installieren und zu warten. In letzter Zeit waren Beratertätigkeiten hinzugekommen, die noch besser bezahlt wurden.
Michaels Berner Sennenhunde kamen aus dem Haus geflitzt und bellten das wuchtige Motorrad an, bis Michael den Motor abstellte. Hawk war fünf Jahre alt, Raven hatte gerade ihr erstes Lebensjahr vollendet. Michael hatte sich am Ende doch breitschlagen lassen, sie zu kaufen. Raven war nicht so groß wie Hawk und bellte unablässig irgendwelche Schatten an, war aber eine gute Gefährtin.
Die beiden Hunde folgten Michael ins Haus, als er die Tür aufstieß. Er warf seine Jacke auf den Billardtisch im Wohnzimmer, ging auf kürzestem Weg in die Küche, machte eine Dose Bier auf und zog Marys Brief aus der Tasche. Zwei Mal hatte er diesen Brief
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