Die Quelle der Seelen: Thriller (German Edition)

Zivera jetzt auch noch Susans Schicksal auf dem Gewissen.
    Martin kam aus dem hinteren Teil des Flugzeugs. Simon beobachtete, wie der Anwalt nach vorn ging und das Cockpit betrat. Mehr Ungestörtheit würden sie hier nicht bekommen, und so wandte Simon sich an Michael. »Hör mal, Michael, es gibt da etwas, was du über Julian Zivera wissen musst.«
    »Und was?«
    Simon machte es sich bequem. »Julian Ziveras Motive sehen anders aus, als du glaubst«, begann er. »Es geht nicht um Macht oder Geld oder Gier. Julian hat deinen Vater entführt, um sich selbst zu retten. Er hat einen inoperablen Hirntumor und hält die Schatulle für seine einzige Hoffnung. Er hat alle Möglichkeiten auf Heilung ausgeschöpft – die neuesten Therapien, New-Age-Kräuterkuren, Heilmethoden aus der Antike, experimentelle Medikamente. Aber mit all seinem Geld und seiner Macht kann er sich keine Heilung kaufen. Ebenso wenig kann er sich Zeit erkaufen. Was er am meisten liebt auf der Welt, nämlich sein Geld und seine Macht, hat sich als nutzlos erwiesen bei seinem Kampf ums Überleben. Das hat ihn verzweifelt werden lassen. Deshalb greift er nach jedem Strohhalm. Unglücklicherweise ist an diesem Strohhalm was dran …«
    »Entschuldigt mich, aber ich brauche noch einen Drink.« Busch erhob sich, ging zur Bar und brachte vorsichtshalber gleich eine neue Flasche mit zurück. »Dieses rührselige Geseier über einen Psychopathen macht mich durstig.«
    Einen Moment saß Michael einfach nur da. Er wusste nicht mehr, was er denken sollte. Das alles lenkte ihn vom Wesentlichen ab. Deshalb versuchte er, darauf zurückzukommen. »Mein Vater und Susan sind in Julians Gewalt. Wenn ich überhaupt noch eine Hoffnung haben will, sie zu retten, muss ich es wissen. Ich muss alles wissen.«
    »Ich glaube, wir haben genug Geschichten gehört«, sagte Busch, setzte sich wieder und füllte sein Glas noch einmal mit Whisky. »Ich schlage vor, wir brechen in sein Haus ein und holen sie da raus. Mit den Aufräumarbeiten sollen sich die Behörden befassen.«
    Michael drehte sich zu Busch um. »Wir sind elftausend Meter über der Erde. Im Moment können wir nirgendwohin. Ich muss das hören.«
    Simon sah Michael an, stand auf und ging zur Bar. Er ließ sich Zeit, als er noch mehr Eis in sein Glas gab, und goss ein wenig Whisky darüber. Abgesehen vom gedämpften Geräusch der Triebwerke war es still in der Maschine, als Simon zu seinem Sitz zurückkehrte. Er machte es sich wieder auf dem Sofa bequem und schaute Michael fest in die Augen. »Seit Anbeginn der Zeit ist der Mensch auf der Jagd nach dem ewigen Leben. Die ganze Menschheit hat immer schon nach Möglichkeiten gesucht, ewig zu leben, ob in einem himmlischen Königreich oder hier auf Erden, ob in geistiger oder körperlicher Form. Alexander der Große suchte nach dem Quell des ewigen Lebens, ebenso Juan Ponce de León. Deshalb segelte er los auf der Suche nach Bimini. Die Chinesen entdeckten das Schießpulver auf der Suche nach dem Elixier des Lebens. Selbst heute, in unserem täglichen Leben, streben wir danach. Wir verändern unsere Ernährung, wir treiben Sport, wir schlucken Vitamine – alles in der Hoffnung auf ein längeres Leben. Das Streben nach Unsterblichkeit ist universell und drückt sich überall ähnlich aus. Jede Religion, jeder Glaube ist auf die eine oder andere Weise auf das ewige Leben ausgerichtet. Nur vergessen wir dabei leicht, dass gerade die Aussicht auf ewiges Leben die Religion so reizvoll macht. Unsterblichkeit ist das Thema der Christlichen Schriften und Gottes Verheißung. ›Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt. Und jeder, der lebt und an mich glaubt, wird auf ewig nicht sterben.‹ Unserem Ende zu entgehen, ist Bestandteil der menschlichen Natur. Wir sind vom Instinkt auf das Überleben programmiert.« Simon schaute Michael und Busch an, die darauf warteten, dass er weitersprach.
    Gedämpft fuhr er fort: »Jede Kultur spricht von der Ewigkeit, jede Kultur hat ihre Fabeln und Mythen. Und wie bei der Geschichte von der Sintflut, gibt es auch im Hinblick auf das ewige Leben eine Geschichte, die überall auf der Welt existiert: die Geschichte über den Baum des Lebens. Sie ist von zentraler Bedeutung in der Kabbala, den mystischen Studien der Jüdischen Tora. Sie ist ein sich wiederholendes Thema in den Religionen der Assyrer und in den frühesten Religionen der alten Griechen. Die ägyptische Mythologie behauptet, dass Isis und Osiris aus dem Baum des Lebens