Die Quelle der Seelen: Thriller (German Edition)
ich nicht alleine tauchen kann«, sagte Busch.
»Ich weiß«, gab der Captain seufzend zu.
Michael und Paul wateten in den Stausee, der von riesigen Langfeldstrahlern beleuchtet wurde, die in zwanzig Meter Höhe auf der Brücke standen. Die Brücke war von beiden Seiten gesperrt und stand voller Rettungsfahrzeuge. Augenzeugen des Unfalls hatte es nicht gegeben; deshalb hinterließen die zehn Meter langen Bremsspuren, die an der Stelle endeten, an der das Geländer durchbrochen war, ein großes Fragezeichen.
Michael war ungezählte Male über die vierspurige Brücke gefahren, hatte den beschaulichen Ausblick genossen auf das offene Wasser inmitten der dichten Wälder. Es hatte ihm an schweren Tagen ein bisschen Frieden geschenkt.
Aber jetzt …
Als er auf das Wasser blickte, das im Mondlicht lag, wusste er, dass der Anblick ihm nie wieder Trost spenden würde. Er stellte sich vor, wie das Auto in die Tiefe gestürzt war, wie die Insassen in Todesangst nach Hilfe geschrien hatten.
Eine Hilfe, die nie gekommen war.
Paul und Michael trugen beide komplette Tauchausrüstungen: Druckluftflasche, Tauchmaske, Schwimmflossen, Tarierweste. Beide hatten Messer dabei, Kompass, Tauchtasche und eine große Unterwasser-Taschenlampe mit extrem hellem Licht.
»Ich bin hier nicht mehr geschwommen seit … meine Güte, das muss jetzt zwanzig Jahre her sein«, sagte Michael, als sie sich auf den Weg machten, und blickte hinauf zu den blendenden Langfeldstrahlern. Auf der Brücke hatte sich eine kleine Menschenmenge eingefunden, die gespannt zuschaute.
»Und er dachte, wir würden nie wieder zusammenarbeiten.« Paul winkte Captain Delia zu, der mit seinen Deputies, einem Rettungssanitäter und einem wütenden Gesichtsausdruck an Land stand. »Es wird ihn fast umgebracht haben, dass er dich um Hilfe bitten musste.« Paul stellte seinen Atemregler ein. »Was hat er eigentlich gesagt?«
»Dass er mich nur anruft, weil er deine Hilfe braucht, und dass du deshalb meine Hilfe brauchst. Und dass ich daraus ja nicht schlussfolgern soll, er würde mich um etwas bitten.«
»Und?«
»Ich habe erwidert: Und was, wenn ich nein sage?«
Paul grinste. »Und?«
»Daraufhin hat er mir gesagt, ich soll mich verpissen und hat aufgelegt.« Michael grinste übers ganze Gesicht, als er in seine Tauchmaske spuckte und den Speichel über das Glas rieb. »Auch eine Möglichkeit, sich abzukühlen.«
Angesichts dessen, was ihnen möglicherweise bevorstand, versuchten Paul und Michael, ihren Humor nicht zu verlieren. Das machte es ihnen möglich, ihre Konzentration und die innere Ruhe zu bewahren, um mit dem Anblick der Toten fertig zu werden, die sie möglicherweise gleich aus blicklosen Augen anstarren würden.
Sie schwammen auf den See hinaus zu der Stelle, von der man annahm, dass der Wagen dort ins Wasser gestürzt war. Dort checkten beide zum dritten Mal die Ausrüstung des anderen, bevor sie einander zunickten und abtauchten. Als Michael unter die Wasseroberfläche glitt, schaltete er seine Taschenlampe ein, blies sich die Ohren frei und stieß hinunter ins kühle, klare Wasser. Das Kensico Reservoir war der wichtigste Wasserlieferant für New York City, ein künstlicher Stausee, der ursprünglich durch eine Überflutung der Stadt Kensico im Jahre 1915 entstanden war. Beweise, dass es diese Stadt wirklich gegeben hatte, fanden sich immer noch auf dem Grund des Sees, wo sie herumspukten in Gestalt gespenstischer Bäume, in deren laublosem Geäst sich der unachtsame Schwimmer verfangen konnte. Kensicos mit Schlick bedeckte Straßen und Ziegelhäuser standen schweigend da, als warteten sie auf die Rückkehr ihrer ehemaligen Einwohner. Es war eine Geisterstadt, die in stiller Dunkelheit lag.
Als Michael und Paul den Grund des Sees erreichten, steckten sie Planquadrate ab und durchkämmten systematisch jedes Feld. Da Michael nach Osten schwamm, fiel das Licht seiner Taschenlampe auf das alte Polizeirevier aus Ziegelstein. Die Gitter vor den Fensteröffnungen waren mit Schlamm bedeckt; Fische schwammen hindurch.
Michael tauchte weiter, und in der Dunkelheit wurde das Wrack eines Wagens erkennbar. Er zog sein Messer und klopfte damit auf seine Druckluftflasche, womit er Paul das vereinbarte Zeichen gab. Dann schwamm er näher heran. Der Buick stand in einem Winkel von fünfundvierzig Grad wie aufgebockt auf einem großen Felsblock. Auf der Fahrerseite stand die Tür offen. Die erschlafften Airbags trieben unheimlich im Wasser umher wie Gespenster.
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