Die Quelle der Seelen: Thriller (German Edition)
Susan schaffst?«, fragte Simon.
»Mach dir um mich keine Sorgen.«
»Scheiß mit Reis«, meinte Busch. »Ich sage, wir bleiben zusammen.«
»Wir haben nicht die Zeit. Geh du mit ihm«, sagte Michael zu Busch und wies dabei auf Simon. »Wenn einer von uns scheitert, kann es vielleicht der andere schaffen. Ihr zieht euer Ding mit Genevieve durch. Fünfzehn Minuten. Keine Sekunde länger.«
Sie steckten die Köpfe aus der Tür. Und ohne noch einmal zurückzublicken, verschwanden sie in der Nacht.
60.
D as medizinische Labor war einen halben Kilometer von der Auffahrt zum Haupthaus entfernt. Es war ursprünglich das Kutschhaus gewesen, in der ein Reitstall und ein Reitplatz untergebracht gewesen waren, und aus dem gleichen Feldstein erbaut wie das Kloster. Während es von außen immer noch aussah wie das Original – wie ein europäischer Herrensitz –, hatte man sein Innenleben zu einem hypermodernen medizinischen Labor umfunktioniert. Es war auf Notfallmedizin und auf die stationäre Behandlung von bis zu zwanzig Patienten ausgerichtet. In den hinteren Bereichen und Untergeschossen war außerdem eine Forschungseinrichtung untergebracht.
Dr. Lloyd und drei seiner Mitarbeiter verließen ihre Büros und trafen sich in dem Forschungslabor, in dem die Kühleinheiten für Wladimir Skowokows Experimente installiert worden waren. Zusätzlich zu den Kühlfächern – die denen ähnelten, die es in jeder Pathologie gab – war im eigentlichen Operationssaal ein spezielles Kühlsystem installiert worden, das die Temperatur kontinuierlich auf exakt ein Grad Celsius hielt. Auf diese Weise wurde die Verwesung der Leichen auch während der zahlreichen Bearbeitungsprozesse auf ein Minimum reduziert.
Lloyd öffnete die neunzig mal neunzig Zentimeter große Tür und zog den Rolltisch heraus. Er fand, dass es einfach zu viele Parallelen gab zwischen einer Leichenhalle und einer Restaurantküche. Genevieve Ziveras Körper war zum Glück mit einem Laken bedeckt; ihr Gesicht aber konnte die Welt weiterhin sehen. Lloyd senkte den Blick, bekreuzigte sich und hoffte, dass er damit irgendwie die Anzahl der Albträume verringern konnte, die er in den nächsten Jahren von ihrem sanften, unschuldigen Gesicht bekommen würde.
Julian hatte seine Untergebenen beauftragt, den Körper aufzuschneiden und die Organe für medizinische Forschungen zu entnehmen – eine Anweisung, die alle einen Moment lang erstarren ließ. Immerhin war dies hier Julians Mutter. Aber Julian zeigte keinerlei Anzeichen von Schmerz. Eigentlich zeigte er überhaupt kein Gefühl für die Frau, die ihn großgezogen hatte – und die er vor noch nicht einmal einer Stunde getötet hatte bei dem Versuch, sie zu zwingen, die Geheimnisse der Schatulle preiszugeben.
Während sie über die Schatulle nun eine Menge wussten, hatte man ihnen über diese Frau hier nichts erzählt – nur, dass sie Julians Mutter war. Ob leibliche Mutter oder Adoptivmutter, wussten sie nicht. Sie wussten alle, dass Julian in einem Waisenhaus aufgewachsen war, waren aber nicht eingeweiht in Einzelheiten über sein Leben, die über das hinausgingen, was von Gottes Wahrheit publiziert wurde. Sie wussten allerdings, dass seine Geschichte ausgeschmückt worden war. Die meisten von ihnen hatten die geschäftlichen und medizinischen Gefälligkeitsartikel gelesen, in denen man sich dichterischer Freiheiten bediente, um die Vergangenheit eines Menschen, seinen Charakter oder sein Erscheinungsbild positiv zu unterstreichen, und das war bei Julian nicht anders gewesen. Doch was ihn zur Obduktion und zur Organentnahme bei seiner Mutter veranlasst hatte, blieb nach wie vor rätselhaft.
Lloyd und sein Team standen vor Genevieve. Sie bewunderten ihre makellose Haut, die ohne jeden Schönheitsfehler war, ohne Sommersprossen und ohne Narben. Ihre Zähne zeigten keine Anzeichen von Karies und waren beneidenswert weiß. Sie war von auffallender Schönheit, und das erfüllte Lloyd mit Mitgefühl. Hier war eine Frau, die ein langes Leben hätte führen können – und dann war sie während eines Verhörs gestorben. Es erinnerte ihn an die Leute, die wie verrückt Sport trieben, sich sämtliche Laster versagten und nichts anderes zu sich nahmen als fade Gesundheitskost, um möglichst lange zu leben, nur um dann ohne jede Vorwarnung von einem Bus überfahren zu werden. Was ihnen Genuss bereitet hätte, hatten sie der Hoffnung geopfert, ihre Zeit auf Erden verlängern zu können – und nun war alles umsonst gewesen.
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