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Die Quelle der Seelen: Thriller (German Edition)

Die Quelle der Seelen: Thriller (German Edition)

Titel: Die Quelle der Seelen: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Doetsch
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Sie hatten sich sinnliche Genüsse versagt zugunsten einer Existenz, die auf Quantität und nicht auf Qualität ausgerichtet war.
    Lloyd sah, wie sein Atem in der kalten Luft Nebelwölkchen bildete und war dankbar, dass er unter seiner OP-Kleidung einen Pullover trug. Doch nichts konnte die eisige Kälte lindern, die durch seine Adern strömte. Für seine Begriffe war diese Frau schlichtweg vollkommen, und er wurde das Gefühl nicht los, dass er ihre Seele entweihte und ihr ohne ihr Wissen ihre Essenz raubte. Er kam sich vor, als würde er sich an Gott vergehen.
    Doch wie bei Forschern oft der Fall, war sein wissenschaftlicher Verstand letztendlich stärker als sein Herz. Er beruhigte sein Gewissen und rechtfertigte das Ganze damit, dass er ja nur seine Pflicht tat.
    Er blickte seine Kollegen an und lächelte. »Meine Herren, sollen wir anfangen?«

61.
    M ichael stand in dem Waldstück, das sich gegenüber von einem Geschäftsflügel der Villa befand, nicht weit von den Klippen über dem Meer entfernt. Der elegante Anbau besaß die Form eines riesigen »C« mit zwei Außenflügeln, die aus dem Hauptteil herauswuchsen. Der Anbau war erst zwei Jahre zuvor fertig gestellt worden, unterstrich die Schönheit des ohnehin schon prachtvollen Baues und verlieh ihm endgültig den Ruf eines Schlosses der Neuzeit. Die vier Etagen hohe Fassade hätte die Geschichte von Jahrhunderten erzählen können. Ihre korsischen Architekten hätten sich wohl nie träumen lassen, was einmal daraus werden sollte: ein Königsschloss, ein Kloster, der Wohnsitz eines Größenwahnsinnigen. Die Fenster im neuen Flügel waren gewaltig, störten aber nicht die Harmonie des Gebäudes; der Mörtel war frisch und neu, noch nicht verschmutzt von Regen und Zeit. Das Ganze war eine Verkörperung von Pracht, wie sie nur selten irgendwo auf der Welt zur Schau gestellt wurde.
    Michael behielt die beiden Wachmänner im Auge, die bewaffnet und in Alarmbereitschaft vor dem einzigen Eingang standen, und schlich um das Gebäude herum zur Seite. Dort hatte er die Wälder hinter sich. Anders als auf der Rückseite gab es hier keine Balkone, über die er sich leicht Zutritt hätte verschaffen können. Hier gab es nicht einmal Türen, die man aufbrechen, keine Schlösser, die man knacken konnte, und die Fenster in den ersten beiden Etagen waren schmal und hoch, kaum breiter als dreißig Zentimeter. Im dritten Stock aber sah es hoffnungsvoller aus; dort waren die Fenster groß genug, dass Michael hindurchpasste.
    Michael schaute sich die Fassade an. Die Mörtelfugen zwischen den Steinen waren etwas über einen Zentimeter tief. Er drückte die Finger hinein und begann mit dem Aufstieg. Der erwies sich als leichte Klettertour, denn die Einkerbungen zwischen den felsigen Steinen boten guten Halt für Finger und Zehen. Er erreichte den dritten Stock in weniger als einer Minute. Das Fenster besaß eine Doppelscheibe und war luftdicht, damit die Hitze nicht entweichen konnte; und es war verriegelt. Selbst im dritten Stock hatten Ziveras Architekten noch sämtliche Sicherheitsvorkehrungen eingehalten: Das Fenster war an das Alarmsystem angeschlossen, und eine kleine rote Leuchtanzeige ließ erkennen, dass der Alarm aktiviert war. Der Alarmsensor des Fensters war ein Kontakt mit Niedrigspannung; wurde dieser Kontakt unterbrochen, wurde das System aktiviert.
    Michael zog sein Messer heraus und ließ es im mittleren Teil des Fensters durch die Vernahtung gleiten. Dann schnitt er innen längs und legte den Riegel um. Er klammerte sich am Fenstersims fest; von der gefährlichen Körperhaltung bekam er bereits Krämpfe in Fingern und Zehen. Er schaute auf seine Armbanduhr: noch zehn Sekunden. Dann blickte er auf das rote Licht am Fensterkontakt. Augenblicke später erlosch es. Michael nickte zufrieden: Der Virus, mit dem er das Computernetz gefüttert hatte, ließ das Alarmsystem auf dem Gelände genau im richtigen Moment zusammenbrechen.
    Michael öffnete das Fenster, glitt ins Gebäude und landete fast lautlos auf dem Marmorboden. Leise bewegte er sich durch den Korridor und spähte durch massive Holz- und Glastüren in elegante Büros, die mit glänzenden Möbeln aus Mahagoni, dicken Samtvorhängen an den Fenstern und frischen Blumen ausgestattet waren. Dies hier war keine demütige Darstellung einer Religion; hier gab es kein Armutsgelübde. Dies war die Zentrale von Ziveras religiösem Großunternehmen. Es war das Gesicht, das sie der Welt zeigten; der Ort, an dem sie ihre

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