Die Quelle der Seelen: Thriller (German Edition)
herauszupressen. Er beherrschte mehrere Sprachen und war mehrmals dafür ausgezeichnet worden, dass er sich erfolgreich bei ausländischen Regierungen eingeschlichen hatte. Seit Jahren kursierten Gerüchte über seinen Tod, die aber offensichtlich voreilig gewesen waren; stattdessen hatte der Mann ohne Gewissen geheiratet und durch die Geburt seines Sohnes ein weiches Herz bekommen. Doch nun schien es, als wäre dieses Herz in jüngster Zeit zurückgekehrt zu alten Werten – was allein schon dadurch bewiesen wurde, dass Raechen jetzt wieder aufgetaucht war.
Er stellte sein Essen zur Seite und griff nach der Akte über Genevieve Zivera. Seine Befehle waren simpel: Finden Sie die Frau und bringen Sie sie her. Obwohl Raechen weit mehr tun konnte, als jemanden zu kidnappen, zog er es vor, seine anderen Fähigkeiten im Ruhestand zu belassen. Er hatte seit sieben Jahren niemanden mehr getötet, und sein Verstand war ihm gnädig und sorgte dafür, dass die Gesichter seiner Opfer allmählich aus seinen Albträumen verschwanden. Deshalb hatte er vor, sich Genevieve Zivera leise und unauffällig zu schnappen, ohne Zwischenfälle und vor allem lebend.
Raechen war Genevieve gefolgt, als sie Boston verließ und durch Connecticut nach Westchester fuhr. Als die beiden Pick-ups mit ausgeschalteten Scheinwerfern und dröhnenden Hupen an ihm vorübergerast waren, hatte sich ihm der Magen umgedreht, weil er ahnte, was geschehen würde. Hilflos hatte er mit angesehen, wie die beiden Pick-ups an seiner Zielperson vorübergejagt und mit quietschenden Reifen auf der anderen Seite der Brücke zum Stehen gekommen waren. Dann waren zwei bewaffnete Männer aus den Fahrzeugen gesprungen.
Die Frau hatte versucht, den Buick zu wenden, hatte dabei aber die Kontrolle über das Fahrzeug verloren und war durch das Brückengeländer gekracht. Raechen war voll in die Bremsen gestiegen und hatte beobachtet, wie der Wagen in den Nachthimmel segelte und wie das Wasser explodierte, als der Wagen auf der Oberfläche aufschlug. Raechen hatte an nichts denken können als daran, dass mit dem Fahrzeug auch jede Hoffnung für seinen Sohn verschwand.
Er blickte wieder zu den beiden Pick-ups, sah aber nur noch ihre Schatten, die in der Dunkelheit verschwanden. Raechen lenkte seinen Wagen auf einen Feldweg, der weit von der Straße entfernt lag, rannte durch ein Waldstück und sprang kopfüber in den See, obwohl er kaum noch die Hoffnung hatte, dass die Frau noch am Leben war. So schnell er konnte, schwamm er auf den schaukelnden Wagen zu, von dem nur noch der Kofferraum über die Wasseroberfläche ragte. Er glitt um das Fahrzeug herum und versuchte vergeblich, irgendwie heranzukommen. Das Wasser bildete Strudel, der heiße Motor dampfte, und die Luftblasen, die aus dem Wageninneren entwichen, gischteten an die Oberfläche. Raechen streckte einen Arm ins dunkle Wasser und bekam den Griff der Fahrertür zu fassen, wurde dabei aber unter Wasser gerissen, als nun der Rest des Wagens in die Tiefe gezogen wurde, hinunter in die Schwärze. Das Auto sank tiefer und tiefer, wurde dabei mit jedem Moment schneller. Raechen klammerte sich fest, als er vom Wrack nach unten gezogen wurde. Es brannte in seiner Lunge; Sterne flimmerten vor seinen Augen. Er stand kurz davor, das Bewusstsein zu verlieren. Doch er ignorierte den Schmerz. Die Frau hatte viel mehr gelitten auf dem Weg zum Grund des Sees, gefangen in einem Sarg mit vier Rädern.
Mit beiden Händen umfasste er den Türgriff und verschaffte sich mit den Füßen Halt am Wagen, der auf Tauchkurs war. Dann zerrte er mit aller Kraft die Tür auf, griff hinein in das Wirrwarr aus erschlafften Airbags, tastete sich hinweg über Genevieves bewusstlose Gestalt und löste den Sicherheitsgurt.
Dann zog er sie aus dem Wagen, der in die Tiefe und die Vergessenheit sank.
Raechen saß im Motel und pickte die letzten Bissen seines chinesischen Essens auf, während er die bewusstlose Genevieve betrachtete, die auf dem Bett lag. Sie war durchgefroren, aber sie lebte. Zwei Rippen waren gebrochen, und auf der Stirn hatte sie einen Bluterguss. Sie würde sich fühlen, als wäre eine Herde Elefanten über sie hinweggetrampelt, wenn sie zu sich kam, aber sie würde am Leben sein.
Raechen nahm eine kleine braune Flasche mit Halothan aus der Tasche und goss einen Teelöffel davon auf ein kleines Handtuch. Er drehte die Flasche zu und steckte sie wieder in die Jackentasche; dann legte er das Tuch sanft über Genevieves Gesicht, sodass
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