Die Quelle der Seelen: Thriller (German Edition)
war kein Mann, er war eine Industrie. Er hatte seine Finger in allem, von der Finanzwelt bis hin zur Medizin.
Doch ein Projekt ließ alle anderen unbedeutend erscheinen: Zivera war das Oberhaupt von Gottes Wahrheit , einer Mischung aus Christentum und Wissenschaft mit einer Anhängerschaft von über einer halben Million Gläubigen, die sich innerhalb von gerade mal fünfundzwanzig Jahren zusammengefunden hatten. Gegründet hatte die Kirche ein Franzose namens Trepaunt. Als er starb, hatte sein Schwiegersohn Julian alles geerbt.
Gottes Wahrheit hatte seinen Hauptsitz in einem Kloster auf den Klippen an der Küste Korsikas. Das fünfundzwanzigtausend Morgen große Gelände bestand aus Forschungseinrichtungen, Bürogebäuden und medizinischen Labors, die alle um Julians Amtssitz herumgebaut waren. Das schlossähnliche Bauwerk war fast zweihundert Jahre lang Kloster gewesen; davor hatte es als Sommerresidenz für eine Herrscherfamilie gedient, die das Schloss 1767 der Kirche schenkte, um damit zu verhindern, dass es in die Hände des französischen Königshauses fiel, das den Genuesen die Insel im 18. Jahrhundert abkaufte.
Gottes Wahrheit erwarb das Bauwerk von den Mönchen, die sich wegen des immer geringeren Zulaufs zu ihrem Orden wieder auf dem Festland angesiedelt hatten. Das Gebäude war renoviert worden, um die neuesten Technologien einzubinden, zugleich aber weiterhin die Vergangenheit zu respektieren – eine These, die auch zur Glaubensgrundlage der Kirche gehörte. Gottes Wahrheit war monotheistisch, ein extremer Auswuchs des Katholizismus, der dieser Kirche und ihrer Politik nicht länger folgen konnte. Die Begründer der Sekte glaubten, dass die traditionellen Religionen schal und überaltert waren und die Realitäten der Gegenwart ebenso ignorierten wie wissenschaftliche Fakten, um eine Glaubensstruktur aufrechtzuerhalten, die vor fünfhundert Jahren geschaffen worden war. Gottes Wahrheit war eine Religion, die an einen alleinigen Gott glaubte. Sie folgte vielen der ethischen Lehren der Bibel, hielt sie aber für überzeichnet, für eine Sammlung von Geschichten mit einer moralischen Botschaft. Sie zog es vor, die Wissenschaft mit heranzuziehen, statt deren Beweise für die Erschaffung des Menschen und des Universums zu ignorieren – was jedoch nicht hieß, dass die Schöpfung nicht nach Gottes Plan erfolgt war. Es ging schlichtweg darum anzuerkennen, dass es länger als sechs Tage gedauert hatte, die Welt zu erschaffen, dass der Mensch aus mehr bestand als nur aus Lehm, und dass die Wurzeln einer Frau tiefer reichten als bis zur Rippe ihres Ehegatten. Die Kirche hatte nicht den geringsten Zweifel, dass Gott den Menschen richtete, dass wir alle unserem Schöpfer gegenüber Rechenschaft ablegen mussten. Es gab Wunder, jeder hatte eine Seele, und jeden erwartete, was er auf Erden verdiente, Himmel oder Hölle.
Gottes Wahrheit war mächtig und einflussreich geworden. Anders als in anderen Religionen stammten ihre Mitglieder nicht aus sämtlichen Gesellschaftsschichten, sondern ausschließlich aus der Welt der Reichen und Mächtigen, der Gebildeten und Erfolgreichen. Industriemogule, Adlige und Berühmtheiten strömten in Scharen auf das Gelände der Kirche und ihrer Mitgliedskirchen, die wie Pilze aus dem Boden schossen. Ergebnis war, dass sie über eine gesicherte finanzielle Basis verfügte. Die Mitgliedsgebühr von jährlich mindestens zehntausend Dollar ließ die Geldsäckchen jedes Jahr weiter anschwellen. Und die Gemeinde wurde zum Dank für ihre Spenden nicht nur spirituell erleuchtet, sie hatte auch teil an den medizinischen Durchbrüchen, die durch Ziveras andere Projekte erzielt wurden, und zog Nutzen aus seinem finanziellen Scharfsinn. Gottes Wahrheit stand bei allen wissenschaftlichen und finanziellen Angelegenheiten sofort mit Rat und Tat zur Seite. War man ein Gläubiger, so war man im Grunde ein Aktionär mit sofortiger Gewinnbeteiligung. Glaube, und du wirst den Lohn für deinen Glauben schon heute ernten und nicht erst, wenn du zwei Meter unter der Erde liegst. Es war ein Modell für ein Zusammenwirken, bei dem sich die Grenzen zwischen Arbeit, Familie, Religion und Wissenschaft verwischten.
Und das war es, was Busch auffiel. Gottes Wahrheit unterhielt keine Kirchen in Ländern der Dritten Welt, keine Missionen, in denen man darauf hoffte, die Menschen aus den ärmsten und düstersten Teilen der Erde zum rechten Glauben zu führen. Dies hier war eine Religion für die Elite, für die
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