Die Quelle der Seelen: Thriller (German Edition)
sie von Michael.
Michael blickte zu Busch, der endlich die Augen aufschlug. Beide sprachen es nicht aus, doch sie empfanden in diesem Moment das Gleiche und mussten sich zwingen, der Frau keine runterzuhauen. Michael wandte sich wieder an Susan. »Die Kassette ist für mich bestimmt, ausschließlich für mich.«
»Nicht, wenn sie etwas mit Stephen zu tun hat.«
»Sie hat mit mir zu tun. Und ob ich ihren Inhalt mit jemandem teilen möchte, ist allein meine Entscheidung.« Michael nahm die Kassette in die Hand und untersuchte sie. Ohne aufzublicken sagte er: »Julian Zivera. Was wissen Sie über den?«
Susan wirkte verwirrt. »Nichts. Wieso? Was hat das mit der Sache hier zu tun?«
»Alles. Er ist derjenige, der Ihren Ehemann entführt hat.«
Susan starrte Michael an. War ihr Blick bis jetzt von Wut erfüllt gewesen, so sprach nun der nackte Hass daraus.
»Falls Sie einen Computer im Haus haben, schlage ich vor, dass Sie sich jetzt mal ganz hurtig ins Internet …«
»Sagen Sie mir nicht, was ich zu tun habe.«
Busch erhob sich vom Stuhl. »Wir alle brauchen einen klaren Kopf, wenn wir herausfinden wollen, wie wir Ihren Mann wieder freibekommen können. Michael hat recht. Wir müssen dahinterkommen, mit wem wir es zu tun haben. Wenn Sie mir zeigen, wo hier ein Computer ist, werde ich versuchen, etwas über diesen Zivera herauszukriegen. Wie wär’s, wenn Sie uns in der Zeit einen Kaffee machen würden?« Busch hatte den Vorschlag gerade erst über die Lippen gebracht, als er ihn bereits bedauerte.
»Kaffee? Kaffee? Verdammt noch mal, ich bin ehemalige Staatsanwältin, kein Dienstmädchen! Ich mache keinen Kaffee!«
Busch hob abwehrend die Hände. »Bitte um Vergebung.«
Susan stürzte aus dem Zimmer, drehte sich aber noch einmal zu den Männern um, starrte sie an und atmete tief durch, um sich zu beruhigen. Dann sagte sie zu Busch: »Der Computer ist in der Bibliothek am anderen Ende der Eingangshalle.« Sie blickte Michael an. »Stephen ist nicht mein Ehemann.«
12.
M ichael hatte über den Kreml gelesen, doch der Ort war für ihn – wie für die meisten Menschen aus dem Westen – kaum mehr als das Machtzentrum einer einst großen Nation, einer der beiden Supermächte. In Wahrheit war der Kreml eine Stadt für sich, eine Enklave mitten in Moskau, eine Gruppe von Festungen hinter beeindruckenden Mauern, die vor mehr als fünfhundert Jahren errichtet worden waren. Und dieses aus Kirchen, Waffenarsenalen, Museen und Palästen bestehende Bollwerk russischen Stolzes war im Verlauf der vergangenen hundert Jahre gleichbedeutend geworden mit Kommunismus, Unterdrückung und Geheimniskrämerei.
In Wahrheit war der Kreml sehr viel mehr. Er war auch eine Welt großer künstlerischer Leistungen, der Hort einer Schönheit und eines Stils, die nur im Zarenreich und nirgendwo sonst auf diesem Planeten zu finden waren. Hier gab es Gebäude von unglaublicher architektonischer Komplexität, die niemand je würde nachbauen können. Er war ein Ort der Widersprüche: Der Kathedralenplatz bestand aus einer Vielzahl von Kirchen – und das in einem Land, in dem Religion fünfundsiebzig Jahre lang durch den Gesetzgeber verboten worden war. Zugleich war hier der Sitz einer neuen demokratischen Regierung, die Freiheit predigte, sich aber weiterhin hinter Geheimnistuerei verbarg. Hier war ein Ort künstlerischer Schönheit und voller bedeutender Kunstwerke, und dennoch war er nicht mit dem Louvre, dem Smithsonian oder den Vatikanischen Museen zu vergleichen. Der Kreml war das Symbol eines Landes, das nach einer neuen Identität suchte und gleichzeitig bemüht war, den Ruf abzuschütteln, ein Staat zu sein, der sich in absolutistischem Herrschaftswahn suhlte.
Vor allem aber war der Kreml jenseits seiner Museen und jenseits seiner historischen Schönheit und ihrer Geheimnisse die Hauptstadt der russischen Gesellschaft, der Hauptsitz ihrer Macht und ihres Präsidenten. Der Kreml war das Wahrzeichen der nationalen Identität Russlands und der Sitz der Staatsregierung, und als solcher bedurfte er zwingend des Schutzes vor denen, die es lieber gesehen hätten, ihn fallen zu sehen: Feinde aus den eigenen Reihen und von außen; Feinde, die sich nach den guten alten Zeiten zurücksehnten; Feinde, die sich nichts sehnlicher wünschten, als die neue Regierung zu vernichten und alles, was sie repräsentierte. Deshalb verfügte das Herz des flächenmäßig größten Landes der Welt innerhalb seiner schlossartigen Mauern zusätzlich zu den
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