Die Quelle der Seelen: Thriller (German Edition)
Waffen seines Militärs und den gestrengen Augen der FSO, dem russischen Nachrichtendienst, über Sicherheitsvorkehrungen, die strenger waren als irgendwo sonst auf dem europäischen Kontinent.
Michael saß allein im Salon. Die Stahlkassette stand vor ihm auf dem Sofatisch. Er inspizierte das Schloss. Es war weder ein Schlüssel dabei, noch gab es einen Hinweis darauf, dass überhaupt einer existierte.
Eine bestimmte Bemerkung beunruhigte Michael, seit Julian fort war. Sie hatte nichts mit Kelley oder Julian zu tun; sie bezog sich ausschließlich auf Genevieve. Julian hatte gesagt: »Sie ist sehr viel mehr, als Ihnen bewusst ist.« Michael hatte keine Ahnung, ob dies die Worte eines verbitterten Sohnes waren, oder ob ein Funken Wahrheit darin lag. Die Verzweiflung, mit der sie Michael gebeten hatte, das Gemälde aus Genf zu stehlen, ihr mysteriöser Tod, von dem sich inzwischen herausgestellt hatte, dass er nur eine List gewesen war – das alles stand in krassem Gegensatz zu ihrer Persönlichkeit, zu der netten, einfachen Frau, die er zu kennen glaubte.
Michael war nach Boston gekommen, weil er nach seinen Eltern suchte. Jetzt wurde er dazu genötigt, in einem Land, das ihm völlig fremd war, ein Ding zu drehen – in einem Gebäudekomplex, dessen Sicherheitsvorkehrungen mit denen des Weißen Hauses vergleichbar waren. Der Kreml war nicht nur der politische Sitz der russischen Regierung, er war auch der Speicher eines Großteils der russischen Geschichte. Einer Geschichte, die aus Episoden bestand, die viele gern für immer ausradiert hätten. Wo es einen Ort gab, an dem sich diese so genannte Schatulle befand, die Julian den »Albero della Vita« genannt hatte, das Objekt seiner Begierde und der entscheidende Faktor im Hinblick auf das Schicksal von Michaels Vater.
Während Michael sich die Ereignisse und Forderungen der letzten Stunde noch einmal durch den Kopf gehen ließ, kam er immer mehr zu dem Schluss, dass Stephen Kelley verloren war und das Blut, das durch seinen Tod vergossen wurde, an Michaels Händen kleben würde. Er fragte sich, ob Kelley es überhaupt wert war, gerettet zu werden. Sie hatten keine innere Bindung zueinander; Kelley hatte kein Interesse an Michael. Er hatte kein einziges Mal versucht, Verbindung zu ihm herzustellen oder gar eine Beziehung zu ihm aufzubauen. Er hatte den Sohn weggegeben, der jetzt seine einzige Hoffnung war. Und falls Michael sich entschied, es zu versuchen, falls er zu dem Schluss kam, dass Kelley es doch wert war, würde es nahezu unmöglich sein, in einem so stark gesicherten Umfeld ein solches Ding zu drehen. Ohne eine Wegbeschreibung – ohne die Karte, die er auf Genevieves Wunsch zerstört hatte – wusste er gar nicht, an welchem Ort er stehlen sollte. Er wusste nicht einmal, nach welchem Ort er suchen sollte. Selbst wenn er den Job hätte annehmen wollen, war das Unternehmen von vornherein zum Scheitern verurteilt. Und sein Scheitern würde nicht nur zum Tod seines Vaters führen – es würde auch für ihn selbst schreckliche Folgen haben.
Hindernisse, die gewaltig erschienen, kannte Michael aus der Vergangenheit, doch bisher hatte er sie noch immer überwunden. Die Schwierigkeiten jedoch, die sich jetzt vor ihm auftürmten, schienen unüberwindbar zu sein. Das hier konnte er nicht schaffen. Kurzfristig erwog er, alles an Informationsmaterial zusammenzuraffen, dessen er habhaft werden konnte, und es an die Behörden weiterzuleiten, obwohl dies mit absoluter Sicherheit bedeuten würde, dass man ihn verhaftete und ins Gefängnis steckte.
Michael richtete seine Aufmerksamkeit wieder ganz auf die Kassette, die vor ihm stand. Er hoffte, dass sie Lösungen enthielt für die Probleme, die sich ihm stellten. Michael steckte Genevieves Brief in die Hosentaschen und begutachtete das komplizierte Schloss der schwarzen Kassette. Dann zog er ein braunes Ledermäppchen hervor, klappte es auf und legte sein kompliziertes Handwerkszeug vor sich auf den Tisch.
Der Schreibtisch war aus dem gleichen kostbaren Holz gefertigt wie die vollen Bücherregale und die Kassettendecke. Noch nie in seinem Leben hatte Busch an einem derart kunstvollen Möbelstück gesessen, noch nie war er von solchen Symbolen des Wohlstands umgeben gewesen: dunkle Perserteppiche, Lederstühle mit hohen Rückenlehnen, Throne für die Könige ihres Metiers. Welche Reichtümer die Bibliothek enthielt, entging ihm indes völlig, denn er starrte auf den Computerbildschirm, der vor ihm stand. Julian Zivera
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