Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Quelle der Seelen: Thriller (German Edition)

Die Quelle der Seelen: Thriller (German Edition)

Titel: Die Quelle der Seelen: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Doetsch
Vom Netzwerk:
hob den Deckel ab und starrte auf das kleine weiße Kätzchen, das sich zusammengerollt hatte und schlief. Julian dachte daran, dass das neue Mädchen nichts getan hatte, um ihm zu helfen, wie gemein sie zu ihm gewesen war, und wie gemein so viele der Kinder waren. Sie nannten ihn »Ekel« und »Scheusal« und behandelten ihn, als gehöre er nicht hierher. Sie waren die Außenseiter und gaben ihm das Gefühl, ein Fremder in seinem eigenen Haus zu sein. Und sie machten ihn wütend, so wütend, dass er sich nicht mehr zusammennehmen konnte, dass er zu zittern begann, während ihm die Tränen über die Wangen strömten. Das konnte er seiner Mutter nicht sagen; sie hätte es nicht verstanden. Er hasste die anderen Kinder, hasste sie mehr als alles auf der Welt.
    Julian blickte auf das schlafende Kätzchen, streichelte sein Köpfchen, fuhr mit den Fingern durch das weiche weiße Fell. Dann lächelte er, legte den Deckel wieder auf den Karton und ging durchs Zimmer zum Kamin. Er zog den Brandschutz zur Seite, und ohne auch nur eine Sekunde zu zögern, warf er den Karton ins Feuer. Er sah dabei zu, wie die Pappe dunkler wurde, wie der Deckel sich herauf und herunter bewegte, wie sich eine weiße Pfote nach draußen tastete, um gleich wieder im Inneren zu verschwinden. Der Karton begann zu vibrieren und auf den brennenden Holzscheiten zu tanzen, wippte auf und nieder, während sich langsam der Geruch von brennendem Fleisch im Raum ausbreitete. Die Schreie des Kätzchens waren mit nichts vergleichbar, was Julian je gehört hatte. Er dachte an Arabella und daran, wie sehr er sich wünschte, sie würde diese schrillen Schreie ausstoßen, sie wäre diejenige, die in dem Sarg aus Pappe gefangen war.
    Endlich war der Karton pechschwarz und brannte lichterloh, und das Glühen der Flamme schimmerte in Julians acht Jahre alten blauen Augen.
    Als die Schreie verstummt waren und der Karton von den Holzscheiten nicht mehr zu unterscheiden war, ging Julian wieder ins Bett. Er starrte auf das Engelsgemälde an der Wand, das von den Flammen hell erleuchtet wurde, und lächelte. Auf einmal verspürte er überhaupt keinen Zorn mehr, überhaupt keinen Hass. Seine Gedanken waren endlich zum Stillstand gekommen.
    Er schlief ein.
    Julian schoss auf seinem Sitz hoch. Die Träume über seine Kindheit rissen abrupt ab, doch sein Herz raste noch immer. Er blickte nach draußen, schaute über den Ozean. Nach ein paar Sekunden war sein Kopf wieder klar, und er hörte die Schreie von Stephen Kelley und Geräusche, die sich anhörten, als würde jemand gegen eine Tür im hinteren Teil des Flugzeugs hämmern.
    Julian lächelte.

15.
    M ichael lehnte sich mit dem Rücken gegen die Sofalehne. Der elegante Salon um ihn her schien immer kleiner zu werden. Was in der vergangenen Stunde geschehen war, wischte er von sich; er konzentrierte sich nur noch auf die Kassette, die vor ihm stand. Seit fünfzehn Minuten bearbeitete er das Schloss, was von der Zeit her gesehen ein Luxus war, den man sich normalerweise nicht erlauben konnte in einem Metier, in dem es Zeugen gab und Alarmsysteme, die alles registrierten von der Wärme des Körpers bis hin zum Feuchtigkeitsgehalt des Atems. Die komplizierten kleinen Werkzeuge, die Michael stets mit sich führte, steckten in dem Schloss; ihre dünnen Metallgreifer hantierten am komplexen Innenleben der Kassette. Michael bediente die schwarzen Stahlstifte mit geschickten Fingern und viel Geduld. Als die letzte der zwölf Sprungfedern aufschnappte, hob Michael vorsichtig den Deckel der Kassette ab und spähte hinein.
    Er hatte sich bereits durch den dicken Lederordner gelesen, den Zivera dagelassen hatte. Bergeweise Informationsmaterial über den Kreml, seine Geschichte, seine Architektur und seine Geheimnisse. Russische Geschichte in Fakten, Fiktion und Legenden. Eine Welt voller Schönheit und Faszination, die vom Westen weitgehend ignoriert worden war.
    Michael studierte die erste Gruppe von Dokumenten und prägte sich die Fakten ein:
    Kurz vor dem Fall des Byzantinischen Reiches sandte der letzte Kaiser, Konstantin XI., seine prachtvolle Bibliothek und sämtliche Kunstgegenstände als Hochzeitsgeschenk nach Moskau, zusammen mit seiner Nichte Sofia Palaiologa, die den Großfürsten von Moskau heiratete, Iwan III. Obwohl dies wie eine großzügige Geste wirkte – ein Hochzeitsgeschenk von unvergleichlichem Wert –, war es in Wahrheit eine List, um einen der größten Schätze der Geschichte so weit wie möglich vom

Weitere Kostenlose Bücher