Die Quelle der Seelen: Thriller (German Edition)
flüsterte er.
Nichts.
»Jane?« Er stieß sie sacht an.
Keine Antwort.
»Jane!«, rief Stephen verzweifelt und schüttelte sie.
Die Schwingtüren wurden aufgerissen, und mehrere Ärzte und Krankenschwestern kamen zu ihm geeilt.
Doch war es zu spät.
Janes Herz, das so voller Glück und Liebe gewesen war, hatte zu schlagen aufgehört.
Zwei Stunden später, nachdem die Ärzte ihm von der Todesursache – Herzstillstand – berichtet und ihm ihr Beileid ausgesprochen hatten, taumelte er den Korridor hinunter zum Säuglingszimmer.
Als er auf das unschuldige Kind blickte, das unter einer blauen Baumwolldecke friedlich schlief, überschlugen sich seine Gedanken. Wie konnte das Leben so grausam sein und einem Neugeborenen sein Recht auf seine Mutter nehmen, bevor er auch nur die Chance bekommen hatte, von ihr geliebt zu werden? Was sollte er seinem Sohn über seine Mutter erzählen?
Stephens Schmerz über den Verlust wurde nur übertroffen von dem Schmerz über die Entscheidung, die er im Hinblick auf seinen Sohn treffen musste. Ohne Jane war er, Stephen, seiner Vaterrolle nicht gewachsen, das wusste er. Er konnte dem Jungen kein kindgerechtes Aufwachsen ermöglichen. Er hatte keine Familie, der er vertrauen konnte – weder auf seiner, noch auf Janes Seite. Niemand würde ihm aushelfen oder ihm gar zur Seite stehen. Er und sein Sohn waren ganz allein auf der Welt.
Die Verantwortlichen im Waisenhaus St. Catherine’s hatten Verständnis für Stephens Entscheidung und erklärten, sie würden ein geeignetes Zuhause für den Jungen finden.
Und so war es dann auch.
Stephen verfolgte Michaels Kindheit aus der Ferne, ohne den St. Pierres gegenüber jemals verlauten zu lassen, wer er war. Sie waren jetzt Michaels Eltern, seine Familie. Stephen hatte Nachforschungen über die St. Pierres angestellt und hätte nicht zufriedener sein können mit dem Ehepaar, das sein Kind großzog. Gelegentlich tauchte er in Byram Hills auf – ein Mann, den niemand kannte, der sich Sportveranstaltungen ansah, dabei zuschaute, wie Michael bei einem Football- oder Eishockeymatch spielte. Er erfuhr, dass Michael ein guter Schüler war. Stephen war stolz, doch mischte er sich nie in die Belange der St. Pierres ein.
Er wusste, dass er die richtige Entscheidung getroffen hatte.
Nachdem Michaels Eltern gestorben waren, erwog Stephen, seine wahre Identität preiszugeben, aber als er die Liebe spürte, die Michael für seine Eltern empfunden hatte, wusste er, dass es in seiner Welt keinen Platz mehr gab für einen weiteren Vater, und gelangte zu dem Schluss, dass man manche Antworten am besten für sich behielt.
Dann las er, dass man Michael im Central Park in New York verhaftet hatte. Er war dabei erwischt worden, wie er ein mit Juwelen besetztes Kreuz aus einem Botschaftsgebäude gestohlen hatte. Michael wurde schuldig gesprochen und zu einer Gefängnisstrafe verurteilt.
Stephens Zorn war grenzenlos und wurde nur noch übertroffen von seiner Scham, weil er es wagte, den Sohn zu richten, den er weggegeben hatte. Doch was Michael getan hatte, verwirrte Stephen. Es stand in krassem Gegensatz zu dem, was er von ihm erwartet hatte, und es zerstörte das Bild, das er bisher von seinem Sohn gehabt hatte.
Wäre das alles auch passiert, wenn er Michael nicht zur Adoption freigegeben hätte?
Verzweifelt gab Stephen es auf, sich noch länger mit Michaels Leben zu befassen. Drei Jahre zwang er sich, nicht an seinen Sohn zu denken und verwarf jeden Gedanken daran, jemals Kontakt zu ihm aufzunehmen.
Aber dann hörte er von Mary. Sie kam, weil sie nach dem Vater ihres Ehemannes suchte – nach Michaels Vater. Das Waisenhaus St. Catherine’s hatte ihr Kelleys Namen gegeben, weil Kelley ihr größter Gönner war – und derjenige ihrer Anwälte, der die besten Verbindungen zu Politikern besaß. Mary hatte ihn um Hilfe gebeten, ohne seine wahre Identität auch nur zu ahnen. Stephen sah, wie die Krankheit ihren Körper zerstörte, sah den Tod in ihren Augen und wusste, dass es nur eine Frage der Zeit war. Er wusste, wie es war, Menschen zu verlieren, die man liebte; schließlich hatte er seine beiden Ehefrauen und seinen Sohn verloren.
Und nun stand Stephen auf dem Balkon und nahm die warme Meeresbrise kaum wahr, denn ihm wurde die Ironie des Schicksals bewusst: Sein Überleben lag in der Hand von Michael St. Pierre – dem Sohn, den er weggegeben hatte.
18.
M ichael öffnete die Beifahrertür der Corvette.
»Tut mir leid, dass ich nicht mitkomme«,
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