Die Quelle
dafür, sie zuzulassen. Sicher waren Sihldans
Worte von der Stimme der Vernunft getragen, dennoch plagte es ihn, tatenlos in
einem vor Frieden strahlenden Garten zu stehen, obwohl er die Macht gehabt
hätte, die Opferung eines Menschen zu verhindern. Stimmte es, was Sihldan
gesagt hatte? War es richtig, für das Wohl des Volkes von Ker-Deijas oder
für das des Clans eine solche Schandtat geschehen zu lassen?
Noch immer zitterte Leathan vor Wut, als er hörte,
wie Pferde sich näherten. Diener kamen von den Stallungen und führten
die für den Kampf aufgezäumte Tiere in die Nähe der Tore des
Tempels. Unter ihnen konnte Leathan Balsik ausmachen und er atmete erleichtert
auf. Rasch ging er zu ihm, froh ein freundliches Lächeln zu sehen, froh,
sich jemanden anvertrauen zu können. Wie einsam und verloren er sich in
diesem Augenblick gefühlt hatte, wurde ihm erst jetzt bewusst. Balsiks
herzliches Lächeln gefror, als er Leathans Gesichtsausdruck sah. Sogar
einige der anderen Diener wirkten irritiert, als Leathan an ihnen vorbeieilte.
„Mein Herr, was ist los?“, erkundigte sich Balsik, als
Leathan schließlich neben ihn stand. Zutiefst dankbar war Leathan
dafür, dass sich Balsik seine Freiheit noch immer nicht erkauft hatte,
denn ihn jetzt an seiner Seite zu wissen, half ihm sich zu beruhigen.
„Sie opfern einen Menschen…“
Balsik wirkte keineswegs entsetzt. „Ja, ich weiß.
Hast du es denn nicht erwartet?“
Leathan senkte nur kopfschüttelnd den Blick. Nein…
Er hatte es nicht erwartet. Zu fremd war ihm diese Denkweise, um eine solche
Grausamkeit voraussehen zu können. Eine Vision hatte er keine gehabt, die
ihn hätte warnen können. Balsik versuchte einfühlsam zu klingen,
als er, betrübt über das verzweifelte Schweigen seines Herrn, nach
tröstenden Worten suchte.
„Zu Beginn des Turniers opfern sie Sklaven. Meistens sind
es Frischlinge, die gerade in den Kriegsgebieten gefangen wurden. Falls es dich
tröstet: die Feinde Anthalias, die Gowirialer, tun es genauso. Wenn
Anthalion oder Kegalsik Opfer wollen, bekommen sie sie. Was können wir
schon dagegen tun?“
Leathan blickte irritiert auf Balsik. „Sie opfern
Menschen für dieselben Götter? Weshalb bekämpfen sie
überhaupt Anthalia, wenn sie Anthalion anbeten?“
Balsik zuckte mit den Schultern. „Nun, die Gegner
Anthalias weigern sich zu glauben, dass unser König tatsächlich der
Gott Anthalion ist und sie wollen sich ihm nicht unterwerfen. Im Grunde
bekämpfen sie ihren Gott, um ihren Gott vor einem Betrug zu
schützen... Sie hatten einst eine Vereinbarung, es gab viele Jahre des
Friedens, aber warum der Frieden nicht hielt, weiß ich nicht. Es gibt wohl
immer einen Grund für Krieg.“
Balsik hatte Recht, was spielte es schon für eine
Rolle, wofür gekämpft wurde? Am Ende ging es wahrscheinlich nur um
mehr Gebiete, Reichtümer und Macht… wie immer, wie überall. Allein
das Volk der Wächter schien an diesem grausamen Spiel nicht teilnehmen zu
wollen. Als Leathan den Blick erneut hob, um Balsik anzusehen, war er
entschlossener denn je, das Volk des Königs Leathan zu schützen.
*
Die Stille im Tempel währte nur kurz. Leathan war
hinausgegangen, die gesamte Aufmerksamkeit galt nun den Priestern, doch nur
schwer konnte der Priester der diese Zeremonie leitete, seine Fassung
zurückgewinnen, nachdem seine Zeremonie unterbrochen worden war.
„Gotteslästerer! Wer hat dem Hexer Zugang zu
Kegalsiks Tempel gewährt? Er muss dafür gestraft werden, die
Zeremonie entweiht zu haben! Isentiens Krieger werden dafür bezahlen!“
Trotz der Spannung im Saal behielt Sihldan einen klaren
Kopf und blickte verachtend auf den verletzten Gardisten, der nun durch eine
Seitentür aus dem Tempel hinausgeleitet wurde. Selbstsicherer als er sich
fühlte, erhob er seine Stimme.
„Ehrwürdiger Hohepriester, ich habe deinen Worten
genau zugehört, als du die Turnierregeln erklärt hast. Keine dieser
Regeln wurde von unserem Gastkrieger verletzt. Als Anthalion ihm erlaubt hat,
an dem Turnier teilzunehmen, wusste er, dass Leathan gottlos ist, das hat ihn
anscheinend nicht gestört.“
Hasserfüllt wandte sich der Hohepriester an Sihldan,
der jedoch seinem stechenden Blick standhielt, als zweifle er keinen Augenblick
daran, im Recht zu sein.
„Anthalion wird darüber entscheiden.“
Sihldan nickte zustimmend. „Möge Anthalion unsere
Schritte leiten.“
Noch immer wirkte der Priester unzufrieden, doch er
musste mit der Zeremonie fortfahren und
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