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Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition)

Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition)

Titel: Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ju Honisch
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Flüssigkeit dunkel. Sie sah nicht wirklich aus wie Blut, war grau und nicht rot, Kanura hatte aber keine Zweifel, dass die Kreatur verletzt war. Sie wirkte eher hilflos als gefährlich. Vor diesem erbarmungswürdigen Wesen waren er und Una davongelaufen? Vielleicht nicht ohne Grund.
    » Wer bist du? « , fragte Kanura leise.
    » Diener « , flüsterte das Wesen. Kanura verstand, dass seine Bestimmung der einzige Name war, den es hatte. Das sollte so nicht sein.
    » Wem dienst du? « , fragte er weiter.
    » IHR « , flüsterte das Wesen angestrengt, » der alle dienen. «
    » Ich diene IHR nicht « , widersprach Kanura.
    » Niemand lebt, der IHR nicht dient. «
    Es schien die Kreatur sehr viel Kraft zu kosten, so viele Worte zu machen. Doch Kanura benötigte Antworten.
    » Wer ist SIE ? «
    » SIE , die singt. Der Weg nach innen und nach außen. Ziel und Plan. Hat uns alle geschaffen, wir fallen für SIE . « Der Pelzball hatte nicht genug Energie, das Ganze in einem Singsang von sich zu geben, doch es klang so, als würde er das wollen.
    » Was will SIE ? « , fragte Kanura, der nicht so recht wusste, was er mit der Information anfangen sollte.
    » SIE ist der Wille von allen. «
    » Ist SIE nicht. Ganz bestimmt ist SIE nicht mein Wille. Mein Wille … ist mein. «
    Der Pelzschrat schwieg eine Weile. Vielleicht konnte er mit dem Konzept des freien Willens nichts anfangen.
    » Was wolltest du von uns? « , bohrte Kanura weiter. » Oder war es Zufall, dass du uns hinterherkamst? Und wenn du dich hier auskennst – wie gelangt man von hier fort? Und wer außer dir und den Kentauren lebt hier? «
    Wieder sagte das verwundete Wesen nichts, röchelte nur schmerzerfüllt. Kanura hätte ihm gerne geholfen, doch er wusste nicht wie. Auch widerstrebte es ihm, das Wesen zu berühren. Seine Schläfe brannte allein beim Gedanken daran. Er hörte auf diesen Rest Instinkt, der ihm seit dem Verlust seines Horns noch geblieben war.
    » Warum bist du uns gefolgt? « , wiederholte er seine Frage.
    » IHR Diener « , seufzte das Wesen.
    » Deine Meisterin hat dich nach uns ausgeschickt? Wozu? «
    » Kein Wozu. «
    Hieß das, das Geschöpf wusste es nicht? Oder wollte es nicht preisgeben?
    » Dann: woher? Woher bist du gekommen? «
    » Von IHR . «
    » Und wo ist SIE ? «
    » Hier und dort. Etwas hier … viel dort. «
    Es war zum Verzweifeln; dunkle Rätsel, auf die Kanura überhaupt keine Lust hatte.
    » Wer zum Verdung ist SIE ? « Das hatte er schon einmal gefragt und war doch nicht schlauer geworden.
    » SIE ist viele. SIE ist alle. «
    Kanura hatte kryptische Andeutungen – seien sie in alten Balladen verborgen oder von den Schanchoyi zitiert – noch nie gemocht. Man hatte ihm versichert, dass sich mit zunehmendem Alter die künstlerische Wertschätzung dazu einstellen würde, doch er war kein Fohlen mehr, und bislang zog er klare Aussagen dem Interpretieren verschwurbelter Verse immer noch vor. » Bildungsverweigerer « hatte Una ihn genannt. Vielleicht hatte sie nicht vollends unrecht gehabt, so unverschämt es auch war.
    » Wo ist ›dort‹? « , fragte Kanura. Es musste doch möglich sein, irgendetwas aus diesem Wesen herauszubekommen, das ihm weiterhalf. Der Schrat schien etwas zu wissen. Und es war nicht so, dass er sich etwa weigerte zu reden. Seine wenigen Worte kamen Kanura nur nicht wie Aussagen, sondern mehr wie Schneeflocken vor, die auf einen heißen Stein fielen.
    Etwas glitzerte durch das wirre Fell der Kreatur. Waren es Tränen? Wo waren eigentlich seine Augen? Hatte es überhaupt Augen? Oder war die Flüssigkeit einfach nur mehr graues Blut? Jedenfalls hatte es nicht den Anschein, als sähe das Wesen ihn an.
    Da Kanura nicht gesehen werden wollte, war ihm das recht. Das besagte allerdings nicht viel. Seine Feinde mochten schon hinter der nächsten Ecke lauern und sich einen Spaß daraus machen, ihn in Sicherheit zu wiegen.
    » Dort « , wiederholte das Wesen nun. » Wo Stein auf Wolken trifft. «
    Kanura riss sich zusammen und blickte wieder auf den Schrat.
    » Meinst du die Trutzberge? Was ist mit den Trutzbergen? «
    » Dort « , sagte das Geschöpf. Es wurde leiser.
    » Dort kommst du her? Von den Trutzbergen? «
    » Dort. Durch. «
    » Niemand kann von dort kommen. Dort gibt es nur Stein und keinen einzigen Durchgang! «
    » Durch « , wiederholte das Wesen sein letztes Wort.
    » Dort durch? Das geht nicht! «
    » Geht. Nicht. Dort. Durch. «
    Der Pelzschrat zitterte noch einmal, dann plötzlich wurde er

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