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Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition)

Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition)

Titel: Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ju Honisch
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sah sie direkt an. Sie standen nur da, sprachlos, reglos, grau und ausgemergelt.
    Sie hätte jetzt gerne etwas gesagt, doch manhatte ihr den Knebel nicht abgenommen. Sie wollte sich mit den gefesselten Händen an den Mund greifen, aber es ging nicht. Was sollte das alles? Man hatte sie entführt. Die sollten ihr jetzt wenigstens sagen, was sie vorhatten.
    Nach und nach begann der eine oder andere jetzt, sich langsam zu bewegen. Sie trugen etwas. Es dauerte ein wenig, bis Una begriff, dass es ihr Rucksack und ihre Besitztümer waren. Ein Stück nach dem anderen wurde in die Mitte des Kreises gelegt.
    Es schien alles da zu sein, außer ihrer Flöte. Warum sie in dieser Situation ausgerechnet der Verlust ihrer Flöte wütend machte, konnte Una selbst nicht verstehen. Es ging um ihr Leben und nicht um Musik. Die Menschen hier sahen nicht so aus, als würden sie alsbald mit Una zusammen musizieren wollen.
    Nun kam die Flöte. In Einzelteilen wurde sie abgelegt, vorsichtig, als wollte man sich nicht daran schmutzig machen oder hätte Angst, das Holzrohr könnte jeden Augenblick explodieren.
    Als alle Gegenstände ausgebreitet waren, trat einer der Menschen vor. Er trug ein Stirnband, das die Haare so weit zurückhielt, das sein Gesicht zu sehen war. Sonst aber unterschied er sich wenig von den anderen grauen Gestalten. Vielleicht waren die Lumpen etwas weniger vermodert. Und er trug eine Art ausgefranster Schärpe.
    Einen Gegenstand nach dem anderen nahm er in die Hand, begutachtete ihn und legte ihn wieder zurück. Es war deutlich, dass er nichts mit dem Handy oder der Kamera anfangen konnte. Er berührte die Gegenstände, drehte sie in den Händen, streichelte vorsichtig über ihre glatte Oberfläche.
    Zuletzt hob er einen Teil der Flöte hoch, ordnete die Einzelstücke an, ohne sie zusammenzustecken. Hier schien er sicherer, mit was er es zu tun hatte, doch zu Unas Erschrecken löste er die Hände davon, als hätte er in Dreck gefasst. Er hob seine flachen Hände überkreuz an den Mund, dann über die Augen, dann an die Stirn. Die anderen taten es ihm gleich. Zwei oder drei von ihnen knieten sich hin und beugten die Köpfe gen Boden.
    Schließlich blickte der Mann Una an und vollführte eine neue Geste, die deutliche Ablehnung signalisierte. Mit ausgestreckter Hand schnitt er waagerecht durch die Luft, wie zur Bekräftigung eines » Nein! « . Seine Lippen bewegten sich dabei, aber kein Laut löste sich aus seiner Kehle.
    Nun trat er einen Schritt auf Una zu und begann zu gestikulieren. Sie versuchte, aus den wirren Handzeichen etwas zu verstehen, doch der Sinn erschloss sich ihr nicht. Immerhin, dieser Mensch versuchte, mit ihr in irgendeiner Zeichensprache zu kommunizieren.
    Plötzlich hielt er ein Messer in der Hand. Unas Augen hatten sich inzwischen an die Dunkelheit gewöhnt, und sie konnte es deutlich erkennen. Es war ein altes Arbeitsmesser, kein verzierter Dolch. Doch er hielt es, als wäre es ein edles Zeremonienschwert.
    Una wand sich und fiel dabei auf die Seite. Sie hatte keine Lust, von irgendwelchen zerlumpten Gestalten mit einem Küchenmesser aufgeschlitzt zu werden. Dieser Typ war der Anführer, vielleicht sogar der geistige Führer, Priester oder Schamane dieser grässlichen Truppe von halb verhungerten Männern und Frauen. Man hatte sie gefangen, um ihr etwas Schreckliches anzutun. Wollte man sie opfern? Warum und wem? Irgendeinem Gott? Glaubten diese Menschen überhaupt an irgendwas?
    Sie rief sich das wenige ins Gedächtnis, das Kanura ihr über die Menschen in seinem Reich erzählt hatte. Menschen, die aus ihrer Welt gekommen und in Talunys geblieben waren. Menschen, die hier lebten und kreativ waren. Und ganz offenbar hatten sie ihre unterschiedlichen Glaubensrichtungen mitgebracht – aus den unterschiedlichsten Epochen und Regionen.
    In welcher Religion brachte man Gefangene mit dem Messer um? Wenn Menschen schon sehr lange und von überall her in diese Welt kamen, gab es keine Garantie dafür, dass ihr Glauben ausgerechnet milde und friedliebend sein würde. Anhänger der indischen Göttin Kali waren früher wenig zimperlich gewesen. Und was die alten Druiden getrieben hatten, wusste letztlich keiner so genau.
    Unas Gedanken wirbelten im Chaos.
    Erneut gestikulierte der Mann vor ihr mit dem Messer in den Händen. Wollte er, dass sie ihm antwortete? Sie verstand ja nicht einmal, was er sagte, falls seine Handzeichen überhaupt etwas bedeuteten außer: Mach dich bereit. Gleich wirst du

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