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Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition)

Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition)

Titel: Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ju Honisch
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der physikalisch kürzest mögliche Weg. Oder so ähnlich. Erklären kann ich es nicht. «
    » Magie? « , fragte er.
    » Ich verstehe nichts von Magie. Willst du einen Müsliriegel? «
    » Ist das auch etwas Kosmisches? «
    » Nur wenn man die Kalorienmenge bedenkt. «

Kapitel 80
    Ab und an beugte sich Irene vor und schöpfte eine Handvoll eisigen Wassers aus dem unterirdischen Teich, um es zu trinken. Das unterbrach die Musik ganz kurz. Nur Sekunden. Eine längere Pause gestand sie sich nicht zu. Sie strich den Bogen über die Saiten, sang oder spielte auf der Tin-Whistle, wie Macha es befohlen hatte.
    Ihre Finger schmerzten, ihre Muskeln brannten. Ihre Füße waren vom Sitzen und Knien auf dem Boden längst eingeschlafen und kribbelten nicht einmal mehr, waren nur schwer und eisig. Ihre Stimme wurde heiser. Sie wusste nicht, wie lange sie das noch durchhalten würde. Sie wusste nicht einmal genau, wie lange sie schon spielte und sang. Ihr Zeitgefühl war ihr in dieser von der Realität entrückten Dunkelheit längst abhandengekommen.
    Bisweilen erstrahlte der Teich in einer unbegreiflichen Szene, ganz jäh und unvermutet. Doch Irene hatte nicht die Kraft, die Vision zu halten. Die Bilder erloschen immer sofort und waren zu kurz, als dass Irene sie genauer erkennen konnte. Es war, als starrte man für den Bruchteil einer Sekunde auf ein abstraktes Gemälde, das man so schnell nicht deuten konnte.
    Jigs, Reel, Slip-Jigs, Slow-Airs, Lieder. Längst hatte sie angefangen, sich zu wiederholen. Irgendwann würde sie umkippen und einschlafen. Was würde dann passieren?
    Sie schob alle Gedanken an das, was noch geschehen würde, von sich. Sie hatte ohnehin keinen Einfluss darauf. Also tat sie, was man ihr aufgetragen hatte. Sie machte Musik. Zu Anfang war es ihr noch leichtgefallen, dann war es schwierig geworden, die Intensität aufrechtzuerhalten, die aus einer Abfolge von Noten Musik machte. Jetzt zog sie diese Intensität direkt aus ihrer Verzweiflung und ihrer Erschöpfung.
    Die bruchstückhaften Bilder brutaler Kampfszenen machten ihr zu schaffen. Sie wusste nicht, wer gegen wen kämpfte. Zuerst hatte sie angenommen, sie würde Esteron kämpfen sehen, doch dann stellte sie fest, dass der schwarze Einhornhengst ihm nur sehr ähnelte. Er blutete und war verletzt, und Irenes Herz brannte. Sie wusste, wer die zierliche Stute hinter ihm war. Die Fürstin, die Esteron liebte.
    Als plötzlich Einhörner gegen Einhörner kämpften, begriff sie nicht, was sie davon halten sollte. Uruschge waren Feinde. Und die seltsam schemenhaften Kugelwesen, die in großer Anzahl nach den Tyrrfholyn schnappten und bissen, schienen einfach nur unmöglich. Aber Einhörner gegen Einhörner? Das war so völlig falsch.
    Sie ließ beinahe die Tin-Whistle fallen, als sie Una sah, umringt von Feinden, einen jungen Mann in den Armen, der nicht so aussah, als würde er noch leben. Irene spielte. Etwas Fröhliches, denn sie wollte zu dem Gesamtbild des Grauens nicht noch beitragen. Wenn überhaupt, wollte sie es ändern, ein Gegengewicht schaffen. Sie hörte das Lied nur undeutlich, doch sie wusste, dass ihre Tochter sang. Ein dunkles Echo überlagerte Unas Lied wie ein böser Zwilling, ein schwarzes Klangspiegelbild. Etwas Böses war am Werk.
    Dann war da nur noch der Teich, und Irene starrte auf die schwarze Wasseroberfläche, bekämpfte mühsam den plötzlichen Wunsch, die Tin-Whistle aus purer Frustration in die Fluten zu werfen.
    Nicht nachdenken – spielen. Sie spielte, merkte, dass sie immer noch den Neunachteltakt des Slip-Jigs spielte. Der Rhythmus kreiselte vor sich hin, schien seltsam endlos in seinem musikalischen Orbit. Sie versuchte, sich für ein neues Stück zu entscheiden, doch ihr Kopf war leer, und so spielte sie einfach immer weiter das gleiche Stück, während ihre Gedanken trotz allem versuchten, das Gesehene zu begreifen.
    Das Szenenbild wiederholte sich vor ihrem inneren Auge, wieder und wieder. Die Einhörner, wie hindrapiert in einem riesigen Kreis um Una und Kanura. Die Feinde, voller Mordlust schon fast Sieger über die beiden hilflosen Wesen, und schließlich das, was sie nicht gleich gesehen hatte, das aber in ihrer Erinnerung doch da war.
    Sie hatte Energie gesehen. Sie wusste sehr wohl, dass man Energie nicht sehen konnte, doch das, was sie wahrgenommen hatte, konnte sie nicht anders beschreiben. Vom Kreis der niedergestreckten Einhornleiber war etwas ausgegangen. Es floss und spann sich wie Baumwurzeln in die Mitte,

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