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Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition)

Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition)

Titel: Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ju Honisch
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nackter Körper sah aus wie aus spiegelndem schwarzen Edelstein geschliffen. Nur über ihrem Herzen pulsierte ein blauer Stein. Das Kunstwerk war perfekt.
    Es hatte Una einiges an Kraft gekostet, Kanura von dem Standbild fortzubekommen. Sie war losgelaufen und hatte versucht, das viel stärkere Einhorn hinter sich herzuzerren, das wie angewachsen da stand. Erst nach einigen Schritten war es leichter geworden, ihn zu ziehen. Er litt. Sein Gemüt schmerzte so deutlich, dass Una es in sich spüren konnte. Eine brennende Wunde, die sein ganzes Fühlen versengte.
    Doch da war noch mehr. Sie konnte es nicht erfassen, aber es schien sich etwas in ihm geändert zu haben, mehr als Schmerz und Verlust und Verrat und Enttäuschung allein ausgelöst haben konnten.
    Er hatte das Horn in der Hand gehalten, dann war es verschwunden. Dennoch glaubte Una nicht, dass er es verloren hatte. Irgendwo war es noch an ihm, unsichtbar, verbrannt und irgendwie furchtbar. Sie würde ihn fragen müssen, was es damit auf sich hatte.
    Vielleicht erschien es ihr nur so, aber der Gang wurde dunkler. Wenn sie darüber nachdachte, war das Licht darin ohnehin nicht logisch. Also dachte sie lieber nicht darüber nach.
    Sie konstatierte ganz nebenbei, wie künstlich diese Gänge wirkten, nicht wie zufällige Höhlen. Jemand hatte sie in den Fels geschnitten wie mit einer Laserfräse. Die schiere Macht, die dazu nötig war, war beklemmend.
    Una hatte so viele Fragen. Doch sie war sich sicher, dass Kanura sie auch nicht beantworten konnte. Er lief nun neben ihr, dieses fremde Wesen, das sie liebte. Sie versuchte, sich an diesem Gefühl festzuhalten wie an einer Sicherheitsleine. Und sie gab sich Mühe, nicht daran zu denken, wie wenig ihm ein bisschen Sex mit einer Frau, die nur ein Mensch war, bedeuten mochte.
    Er hielt kurz inne und blickte sie mit seinen großen Augen an.
    » Ich liebe dich « , sagte er.
    Hatte er ihre Gedanken gehört?
    » Ich liebe dich auch « , murmelte sie etwas atemlos, wusste, dass es die Wahrheit war, wusste nicht, ob es noch irgendetwas bedeutete.
    Sie liefen weiter. Doch sie kamen nur ein paar Schritte weit.
    Mit ungeheurer Geschwindigkeit rannte der große Schatten kopfüber an der Tunneldecke entlang auf sie zu. Eben nur ein Fleck Dunkelheit, nahm das Wesen in der Bewegung Gestalt an, fern erst. Dann schon nah. Schon da.
    Una wollte schreien, doch der Schrei blieb ihr im Hals stecken.
    Von allen seltsamen Wesen, denen Una in den letzten Tagen begegnet war, war dies bei Weitem das Fürchterlichste. Die Fortbewegung hatte etwas von einem Insekt oder Tausendfüßler. Viele Beine, die rund um einen Torso angeordnet waren, krabbelten flink vorwärts, schwarz, vielgliedrig und dünn. Der Torso allerdings war menschlich. Ein Frauenkörper, wohlgeformt mit weißer schimmernder Haut und beeindruckenden Brüsten. Das ebenmäßige Antlitz hätte beinahe als menschlich gelten können, war jedoch mit den schrecklichen Fliegenaugen und dem gedrungenen Horn auf der Stirn wie eine Verhöhnung weiblicher Schönheit. Weiße Haare umgaben den Kopf wie ein Heiligenschein.
    Völlig unangemessen fielen Una auf einmal gleich mehrere Szenen aus schlechten Sechzigerjahre-Filmen ein, wo die Heldinnen – mit einem derartigen Monster konfrontiert – laut kreischend davonstoben und dem Held das Feld allein überließen. Zum ersten Mal konnte sie diese Reaktion voll verstehen.
    » Scheiße « , murmelte sie stattdessen und war sich sicher, nicht die passende Vokabel getroffen zu haben. Wie angewurzelt blieb sie stehen.
    Dann flog sie beinahe. Kanura hatte sie mit roher Kraft beiseite gerissen und seitwärts durch einen klaffenden Spalt im Fels geschoben. Rückwärts folgte er ihr nach, behielt was immer da kam im Auge. Sie hatte den Spalt in der Wand nicht einmal gesehen.
    Dass sie nicht in Sicherheit waren, war schnell klar. Diese Höhle sah bewohnt aus. Schimmernde Seidenfäden hatten zierliche Muster über die Wände gewoben, die von eigenartiger Schönheit waren, komplex und perfekt. Blätter waren zu einem kreisrunden Lager angeordnet, auf dem nichts schlief, was menschliche Gestalt hatte. Und mitten durch die Höhle zogen sich vom Boden zur Decke gespannte Schnüre. Sie hallten melodisch in den Geräuschen wider, die die beiden Flüchtenden machten. Ein wummernder Bordun schwang im tiefsten Bass.
    Saiten. Dies waren Saiten einer riesigen Harfe, und ihr Klangkörper war das ganze Gebirge.
    Una wusste, wo sie war. Genau da, wo sie nicht hatten

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